#303 | Es ist dein Job!

Bürgerbeteiligung ist in Deutschland ein freiwilliges Angebot. Das kann in Zeiten knapper Kassen zum Problem werden.

Ausgabe #303 | 23. Oktober 2025

Es ist dein Job!

Es war ein typischer Konflikt, wie wir ihn aus zig Beteiligungsprozessen kennen.

Der Leiter des Stadtplanungsamtes hatte die Pläne für die Umgestaltung einer Industriebrache ausführlich vorgestellt, zahlreiche Pläne und Visualisierungen gezeigt und geduldig jeden Einwand gekontert.

Doch die Unruhe im Saal war im Laufe des Abends eher gewachsen als gewichen. Schnell stellte sich heraus, dass sich unterschiedliche Interessen nicht so berücksichtigt sahen, wie sie es gerne gehabt hätte.

Für die einen war es zu wenig Grün und zu viel Versiegelung. Für die anderen zu viel Gestrüpp und zu wenig Parkraum.

Wieder andere störten sich an der geplanten Wohngruppe für Menschen mit Beeinträchtigungen oder am Kindergarten oder an beidem.

Besonders intensiv setzte der Leiter des örtlichen NABU dem Amtschef zu. Beide kannten sich seit ihrer Schulzeit, duzten sich, obwohl sie in zahlreichen Konflikten um städtische Vorhaben gelernt hatten, sich nicht zu mögen.

Als der NABU-Vertreter zum dritten Mal mit denselben Argumenten den Autoverkehr ganz aus dem Viertel verbannen wollte, platzte dem Amtsleiter der Kragen.

„Ich muss mir das hier nicht antun!“ fuhr er den Mann vom NABU an.

„Doch!“ gab der trocken zurück.

„Wie kommst du darauf?“

„Es ist dein Job!“

Tja. Und da lag der Kollege des NABU falsch.

Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass Kommunen und Vorhabenträger verpflichtet wären, Beteiligung anzubieten.

Das sind sie nicht.

Oder nur in sehr geringem Maße. Wir haben die sogenannte „formelle“ Beteiligung, die deshalb so heißt, weil sie nicht nur verpflichtend, sondern auch formal konkret ausgestaltet ist.

Je nach Vorhaben zählen dazu die Auslage von Plänen, das Recht auf Einwendungen, Anhörungen und natürlich auch die Beschreitung des Rechtsweges.

Das ist in der Regel weniger Beteiligung – weil dialogfrei – sondern mehr eine Form des Widerstandsmanagements.

Echte Beteiligung braucht vor allem zwei Dinge: Wirkungsraum und Dialog.
Und die ist eben keine Verpflichtung zum Beispiel für Kommunen. Aktuell wird auch nicht daran gedacht, eine solche Verpflichtung einzuführen.

Das merken wir zum Beispiel daran, dass immer mehr Bundesländer „Beteiligungsgesetze“ beschließen.

In Niedersachsen gibt es eins, auch in Brandenburg. Ebenso in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen, Thüringen und im Saarland. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat eins. Die Titel sind oft länger, meist wird nur von „Beteiligungsgesetz“ gesprochen. In Sachsen nennen Sie es sogar „Akzeptanz- und Beteiligung“.

In allen Gesetzen geht es um Beteiligung – an Windparks bzw. Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energie. Finanzielle Beteiligung ist das Thema, ob für Bürger*innen oder für Kommunen.

Es geht ums Geld, nicht um die Demokratie. Ein wenig auch um sozialen Frieden, viel um Akzeptanz.

Überschneidungen mit dem, was wir Bürgerbeteiligung nennen, sind vorhanden, mehr aber nicht.

Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Ausgestaltung ihrer Kommune, an Entwicklungsstrategien, Vorhaben, Finanz- und Ressourcenplanung findet statt.

Sie ist aber keine kommunale Kernaufgabe. Nicht einmal dort, wo die Kommune sich im Rahmen von Leitlinien oder Satzungen freiwillig dazu verpflichtet hat.

Das ist gefährlich.

Denn wir wissen: die Kommunen in unserem Land sind systemisch unterfinanziert.

Viele sind hochverschuldet, nicht wenige praktisch pleite.

Auch wenn es bei Kommunen anders heißt.

Die Insolvenz von öffentlichen Gebietskörperschaften ist gesetzlich ausgeschlossen. Doch die Folgen nicht ausgeglichener kommunaler Haushalte können drastisch sein.

Sie führen zu Haushaltssperren und Einschränkung der Selbstverwaltung. Im Extremfall übernimmt die Kommunalaufsicht die Kontrolle.

Doch schon vorher führt es regelmäßig dazu, dass nur noch Pflichtausgaben getätigt werden dürfen. „Freiwillige“ Leistungen entfallen.

Und dann trifft es die Beteiligung mit kalter Wucht.

Das ist kein theoretisches Konstrukt. Beim Berlin Institut für Partizipation gehen immer mehr Meldungen kommunaler Beteiliger ein, die genau diese Realität beschreiben.

Beteiligung wird heruntergefahren, ganze Fachabteilungen werden aufgelöst, Bürgerhaushalte werden ausgesetzt oder abgewickelt.

Noch ist dies kein Massenphänomen, aber der Trend ist da.

Natürlich ist es absurd und demokratiegefährdend, wenn wir ausgerechnet in Krisenzeiten weniger Dialog praktizieren. Das trägt zur Zerrüttung unserer Gesellschaft bei. Es bietet Rechtsextremisten weitere Hebel zur Schwächung unserer Demokratie.

Es ist dumm.

Aber eben oft keine freiwillige Entscheidung.

Fehlt das Geld, müssen Kommunen sich auf ihre Pflichtaufgaben konzentrieren.

Wir brauchen Antworten auf dieses Dilemma.

Langfristig geht es um eine solidere und verlässlichere finanzielle Ausstattung unserer Kommunen.

Kurzfristig ist die effektivste Antwort: Bürgerbeteiligung zur kommunalen Pflichtaufgabe machen.

Wir brauchen Landesbeteiligungsgesetze, in denen genau das steht. In denen es um echte Beteiligung geht, nicht um akzeptanzfördernde Finanzausschüttungen. Geht nicht?

Stimmt nicht.

In Baden-Württemberg sind sie schon ganz nah dran.

Dort haben sie seit 2021 ein solches Gesetz. Das „Gesetz über die dialogische Bürgerbeteiligung“ besteht aus gerade mal vier Paragraphen.

Es geht also auch kurz.Dort heißt es gleich in Paragraph 1 (Satz 4): )

„Die dialogische Bürgerbeteiligung ist eine öffentliche Aufgabe, die freiwillig wahrgenommen werden kann.“

Wir haben es also fast, es braucht nur eine winzige Änderung: Von der Freiwilligkeit zur Pflicht.

Und schon wäre gesichert, dass die Bürgerbeteiligung nicht zu den ersten Opfern bei klammer Haushaltslage gehört.

Damit wir sie genau dann haben, wenn wir sie besonders brauchen.

Wenn wir unsere Demokratie bewahren und stärken wollen, braucht es viele Anstrengen und Maßnahmen.

Diese selbstgestellte Falle zu beseitigen ist nur eine davon.

Aber eine wichtige.

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