Ausgabe #45 | 5. November 2020
Demokratie als Dienstleistung
Die Beteiligung von Bürger*innen hat insbesondere bei kommunalen Vorhaben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Gleichzeitig ist die Umsetzung anspruchsvoll, oft aufwendig und bedarf einer ganzen Reihe von Kompetenzen, die so in vielen Verwaltungen nicht vorhanden sind. Was dagegen oft reichlich vorhanden ist: unaufschiebbare Aufgaben.
Kein Wunder also, dass insbesondere in der vergangenen Dekade mehr und mehr externe Aufträge für Beteiligungsdienstleistungen erteilt wurden. Ob die Moderation einer Einzelveranstaltung, die Konzeption und Umsetzung komplexer Beteiligungsprozesse, die Erstellung und Betreuung einer Online-Beteiligungsplattform oder auch die Abwicklung ganzer Bürgerhaushalte – es gibt viel zu tun für externe Auftragnehmer.
Entsprechend stürmisch hat sich die Branche entwickelt.
Da gibt es Freiberufliche, die gutes Geld mit der Moderation von Turnhallenevents verdienen, Softwareschmieden, die vom einfachen digitalen Diskussionsforum bis hin zum Tool für eine komplexe Online-Kommentierung von Planungsentwürfen alles bauen können. Es gibt große, sogar international aufgestellte Full-Service-Dienstleister und kleine regionale Spezialisten.
Es gibt Kommunikationsagenturen, die eine eigene Beteiligungsabteilung lanciert haben, Professor*innen, die in eigenen Beratungsagenturen von ihnen maßgeblich entwickelte Formate realisieren und es gibt sogar Imageberater*innen, deren einzige Aufgabe es ist, zahlungskräftige Kund*innen aus Wirtschaft und Politik in Beteiligungsformaten gut aussehen zu lassen.
Dazu kommen professionelle Mediator*innen, die Beteiligungsverfahren in Schieflage neu ausrichten und am Ende sogar verschwiegene Spezialist*innen, die die politischen Scherben misslungener Prozesse leise wegräumen.
Die Branche wächst und differenziert sich. Und das ist gut so. Nicht wenige Akteure kommen selbst aus der Verwaltung, viele betreiben ihre Tätigkeit mit Herzblut und ehrlichem Demokratieinteresse. Und die überwiegende Mehrheit sorgt in den meisten Fällen dafür, dass Beteiligung auch wirklich „Gute Beteiligung“ ist.
Mit vielen dieser Akteure bin ich regelmäßig im Gespräch, rund ein Viertel der Mitglieder des Berlin Instituts für Partizipation war oder ist in dieser Branche tätig, viele teilen Ihre Erfahrungen auch auf unserer Webseite.
Spannend dabei ist, wie oft es doch Schnittmengen in den Erfahrungen und Einschätzungen dieser Professionals gibt. Immer wieder kommen sie auf die gleichen Schieflagen und Absurditäten des Beteiligungsalltages zu sprechen. Und da wird es auch für diejenigen von uns interessant, die mehr als ein – völlig legitimes – kommerzielles Interesse an Beteiligung haben.
Im Laufe der Zeit habe ich mir einige bemerkenswerte Entwicklungen notiert, die ich Ihnen heute vorstellen möchte. Ich nenne sie – zugegeben etwas dramatisch –
Die Sieben Sünden der Beteiligungsdienstleistung
Ich schreibe bewusst nicht „der Beteiligungsdienstleister“. Denn auch in dieser Branche gilt: Für Entwicklungen sind nicht allein, oft sogar zum geringsten teil, die Dienstleister zuständig. Häufig sind es Auftraggeber oder Umfeld, die bestimmte Geschäftsmodelle oder Unsinnigkeiten erst ermöglichen oder sogar einfordern. Dienstleister leisten Dienste; vorzugsweise diejenigen, die angefragt werden. Deshalb gibt es keinen Anlass mit dem Finger auf Dienstleister, Auftraggeber, Medien oder Anspruchsgruppen zu zeigen. Es gibt aber auch keinen Grund, nicht näher hinzuschauen. Das tun wir jetzt mit Sünde Nr. 1:
1. Die vorschreibenden Ausschreibungen
Insbesondere öffentliche Auftraggeber schreiben Beteiligungsdienstleistungen aus. Und da übertreiben sie es gerne mal mit der Leistungsbeschreibung. Beteiligung ist kein Straßenbau. Man kann nicht wirklich sinnvoll planen, welche Veranstaltung mit welcher Methode zu welchem Zeitpunkt die richtige Wahl ist. Wer so denkt, verplant nicht nur Bürger*innen und Prozess, sondern stellt auch die Ergebnisoffenheit in Frage. Allzu oft wird aber genau das in den Angeboten erwartet. Dienstleister machen mit, denn sonst haben sie keine Chance auf den Zuschlag.
2. Die stummen Erwartungen
Ein Nebeneffekt dieser überpräzisen Ausschreibungspolitik: Konflikte sind in einem solchen Prozess nicht vorgesehen, sie verursachen Verzögerungen, Mehrkosten, Stress ¬. Die Tendenz, sie aus dem Verfahren herauszuhalten, ist entsprechend groß. Dazu kommt die (nicht immer) stille Erwartung vieler Auftraggeber: Beteiligung soll keine Konflikte aufdecken, sie soll sie vermeiden. So aber kann „Gute Beteiligung“ nur schwer gelingen.
3. Das Auftragnehmer-Dilemma
In der Automobilbranche galt jahrzehntelang ein lukratives Prinzip: Die Automobilhersteller mussten ihre CO2-Angaben unabhängig prüfen lassen, durften sich die Prüfer*innen aber selbst aussuchen. Das kennen wir auch aus der Beteiligung: Wer Konflikte thematisiert, bearbeitet, dadurch kritische Medienberichte auslöst und gar das Zeit- oder Kostenbudget überzieht, hat es schwer, an Folgeaufträge zu kommen. Wer Akzeptanz beschafft, ruhig, leise, unauffällig, pünktlich, der erhöht seine Marktchancen ungemein.
4. Das Vodoo-Geschäftsmodell
Es gibt eine Menge Methoden in der Beteiligung, manche sind ungeheuer komplex, viele tragen eindrucksvolle Bezeichnungen. Einige brauchen viel Personal und/oder teure Technik. Je komplexer und für Außenstehende geheimnisvoller die Methode ist, desto größer wird die Versuchung, sie von einem spezialisierten Dienstleister ausführen zu lassen. Dabei reicht in vielen Situationen der gewöhnliche Stuhlkreis völlig aus. Hauptsache, es kommt zum Dialog auf Augenhöhe. Doch das klingt nicht so sexy – und braucht nicht so teure Spezialist*innen.
5. Die Methode als Marke
Manche Dienstleister haben dieses Vorgehen perfektioniert. Sie bieten überhaupt nur ein bestimmtes Format an, manchmal sogar markenrechtlich geschützt. Beworben wird es gerne als universell einsetzbares Instrument. Doch on-size-fits-it-all stimmt nicht einmal bei Pudelmützen. Wie soll es bei grundverschiedenen Menschen, Themen, Situationen funktionieren? Universelle Methoden gibt es ebenso wenig wie universelle Lösungen. Deshalb neigen solche Dienstleister dazu, ihre Methode auch anzubieten, wenn es so gar nicht passt. Für Auftraggeber ist die Liste der anderswo damit erzielten Erfolge verführerisch, aber gefährlich.
6. Die ausgewählten Zufallsbürger*innen
Die Zufallsbürger*innen liegen im Trend. Und oft sind Zufallsauswahlen sinnvoll und hilfreich, bisweilen sogar die einzig sinnvolle Methode. Manchmal sind sie es auch nicht. Immer aber sind sie aufwendig und komplex. Und in der Praxis ist es gar nicht so leicht, diese Verfahren sauber umzusetzen. Dazu kommt, dass bis zu 100 und mehr Menschen „ausgelost“ werden müssen, bis auch nur einer davon bereit ist, seine Zeit zu „opfern“. Da wird es oft schwierig, das ganze Panel zusammenzulosen und die Versuchung ist groß, es leise durch weniger zufällig Rekrutierte aufzufüllen. Auch Auftraggeber sind davor nicht gefeit. Ich habe selbst schon Prozesse erlebt, in denen ein starker Teil der „zufällig“ Ausgewählten aus honorierten Student*innen oder Verwandten und Nachbar*innen des Bürgermeisters bestand.
7. Die Dialektik des Konfliktes
In den meisten Beteiligungsprozessen geht es um Interessenkonflikte und deren Abwägung. Logisch wäre es, diese Konflikte gemeinsam erst heraus- und dann zu bearbeiten. Das ist mühsam, erfordert Geduld, braucht Leidensfähigkeit bei allen Beteiligten und die Bereitschaft des Auftraggebers, einen Prozess loszulassen und vertrauensvoll den Beteiligten mit Unterstützung durch die engagierten Dienstleister anzuvertrauen, ohne Garantie auf ein Ergebnis nach Wunsch. Lesen Sie den vorherigen Satz ruhig noch einmal durch. Er fasst das ganze Dilemma zusammen: Denn wenn sie als Dienstleister*in diesen Satz bei einer Vorbesprechung mit dem Auftraggeber sagen, brauchen sie in vielen Fällen ihr Angebot gar nicht mehr einzureichen. Sie sind draußen. Für immer.
Nicht alles läuft also rund in der Beteiligungsbranche, manches läuft schief, manche leiden darunter, manche leben davon.
Oft hat das zur Folge, dass Bürger*innen nicht wirklich Subjekte eines deliberativen Prozesses sind, sondern Objekte in einer fremdbestimmten Choreographie.
Das ist schade. Und nicht wenige Akteure der Beteiligungsbranche bedauern dies ebenfalls. Doch bleiben wir entspannt: Mehr demokratische Teilhabe steht in unserem Land noch am Beginn einer langen und steilen Lernkurve. Wir wissen schon viel, wir haben auch Vorstellungen davon, was „Gute Beteiligung“ ist, nun geht es darum, möglichst viel auf Papier Geschriebenes auch tatsächlich gut auf die Straße zu bringen.
Deshalb macht es insbesondere bei weniger gelungenen Prozessen Sinn, genauer hinzuschauen, ob eine oder mehrere der oben skizzierten Sünden begangen wurden – und es beim nächsten Mal anders zu machen.
Am Ende sollten wir uns vergegenwärtigen: Beteiligung hat viel Bedarf an Dienstleistung. Demokratie ist am Ende jedoch nicht delegierbar. Sie ist keine Dienstleistung, sondern Kultur. Sie ist kein Angebot, sondern wesentliche Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Deshalb braucht sie eine inhaltliche Ausgestaltung durch die Bürger*innen. Alle Dienstleistung ist nur Hilfestellung.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.