#5 | Wir kaufen uns Gemeinwohl

Mit dem „Windbürgergeld“ soll der Widerstand von Anwohnern überwunden werden. Das klingt innovativ, ist aber eine gefährliche Idee.

Ausgabe #5 | 30. Januar 2020

Wir kaufen uns Gemeinwohl

Irgendwie klappt das nicht so richtig mit der Energiewende. Vor allem der Ausbau der Windenergie stockt. Im vergangenen Jahr sind knapp über 300 Windenergieanlagen errichtet worden. Das ist der geringste Zubau seit 20 Jahren. Viele Anlagen der älteren Generationen müssen zudem zurückgebaut werden.

Faktisch steht die Windenergie kurz vor dem kompletten Stillstand.

Gründe dafür gibt es viele. In Bayern ist der Ausbau der Windenergie durch die dortige 10H Abstandsregelung quasi zum Erliegen gekommen. Anderswo ist der Widerstand der Anlieger enorm. Auch manche Umweltschützer sind kritisch. Sie sorgen sich um Vögel und intakte Wälder. Und manch eine Kommune im Osten der Republik ist faktisch pleite, gleichzeitig jedoch von Windrädern umzingelt, an deren Erträgen sie nicht partizipiert.

Die Misere ist groß, das haben auch Politiker erkannt.

Der niedersächsische Bundestagsabgeordneten Matthias Miersch hat nun vorgeschlagen, Widerstände von Anwohnern durch ein sogenanntes Windbürgergeld zu überwinden.

Doch das ist eine gefährliche Idee.

Ich halte viel von Matthias Miersch. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD Bundestagsfraktion ist ein engagierter Umweltpolitiker und ein kluger Kopf. Sein Interesse gilt dem Gemeinwohl und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. So habe ich ihn in den zweieinhalb gemeinsamen Jahren in der Endlagerkommission kennengelernt. Die gute Absicht hinter seinem kürzlich unterbreiteten Vorschlag zum Windbürgergeld nehme ich ihm also ab.

Nur mit der Wirkung ist das so eine Sache.

Dahinter steckt im Grunde die Idee, sich den Beitrag Einzelner zum Gemeinwohl zu erkaufen. So aber funktioniert das nicht. Gemeinwohl entsteht aus eben diesen Beiträgen, aus Steuern, Abgaben, Ehrenamtlichem Engagement und Akzeptanz von Beeinträchtigungen.
Es geht genau darum: Dass man bereit ist, mehr zu diesem Gemeinwohl beizutragen, als man unmittelbar dafür bekommt. Ohne ein solches Solidarprinzip gäbe es am Ende nur ein banales Schachern um persönliche Vorteile.

Wenn nun mit einem „Windbürgergeld“ ein Präzedenzfall in der Windenergie geschaffen wird, welche Botschaft senden wir da aus? Ist ein Windrad in 1000 Meter Entfernung unzumutbar, eine Hauptverkehrsstraße vor dem Küchenfenster aber schon?

Wenn wir ein „Windbürgergeld“ auszahlen, können wir dann ein „Autobahnbürgergeld“ verwehren? Oder ein „Bahntrassenbürgergeld“, ein „Kindergartenlärmbürgergeld“ oder gar ein „Flüchtlingswohnheimbürgergeld“?

Ich habe der ZEIT dazu vor einigen Tagen ein Interview gegeben, das für erstaunlich viel Reaktionen gesorgt hat. Hunderte Leser*innen haben es bislang kommentiert, viele stören sich genau an diesem Zusammenhang. Wer neben einem Kohlekraftwerk wohnt, der kann einem „Windbürgergeld“ naturgemäß wenig abgewinnen.

Zudem ist ein solches Vorhaben auch aus demokratischer Sicht problematisch.

Ein Windbürgergeld kann die Spaltung der Gesellschaft noch vertiefen, etwa weil manche Anwohner Geld erhalten, andere, die nur ein paar Meter weiter wohnen, aber nicht. Oder weil manche Windkraftgegner das Geld akzeptieren, andere aber weiter protestieren.

Durch Zahlungen an Einzelne würde der Gesetzgeber einen gesellschaftlichen Trend verstärken, der persönliche, egoistische Interessen über das Gemeinwohl stellt. Will man diese Einstellung belohnen? Einzelinteressen über individuelle Zahlungen gemeinwohlkompatibel kaufen?

Das wären möglicherweise genau die falschen Signale.

Natürlich ist in einer Demokratie die Frage gerechtfertigt, ob nicht Einzelnen oder bestimmte Gruppen im Namen des Gemeinwohls zu viel abverlangt wird. Den Bürger*innen der eingangs angesprochenen Mecklenburger Kommune ist schwer zu vermitteln, dass sie im Schatten von 70 Windrädern leben, an denen Leute verdienen, die weit weg wohnen, während ihre eigene Kommune unter finanzieller Zwangsverwaltung steht.

Kompensationen sind also nichts grundsätzlich Böses. Doch es gibt Formen der Kompensation, die den Zusammenhalt der Menschen vor Ort fördern. Eine verpflichtende Beteiligung der Kommunen an den Einnahmen wäre ebenso denkbar wie Kompensationsmittel, die aber nicht an Einzelne gehen, sondern – zum Beispiel in kommunalen Beteiligungsprozessen – vor Ort gemeinwohlorientiert investiert werden können. Das stärkt demokratische Strukturen, bietet Chancen für gesellschaftliche Diskurse, stärkt den Zusammenhalt.

Ein Selbstläufer wird das nicht, so etwas muss klug gestaltet und ggf. auch moderiert werden. Aber es böte die Chance, Energiewende und Demokratie zugleich zu stärken. Beides ist weder einfach noch billig, weder schmerz- noch konfliktfrei zu haben. Gemeinwohl zu gestalten ist heute eine komplexe Herausforderung.

Einfach zu kaufen ist es mit Sicherheit nicht.

Herzlichst, Ihr Jörg Sommer

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