Ausgabe #58 | 11. Februar 2021
Wählen oder Klicken?
Vor einiger Zeit erhielt ich eine E-Mail einer großen Umwelt-NGO, in der ich seit Jahren Fördermitglied bin. Es gäbe da ein großes Infrastrukturvorhaben, ganz schlimm für die Umwelt, und man könne da jetzt Einwendungen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens vorbringen.
Ich sollte das doch bitte auch tun.
Unabhängig davon, ob ich nun wie in meinem Fall 800 km Luftlinie entfernt wohne, oder nicht.
Und damit ich mir nicht so viel Mühe machen müsste, hätte man eine eigene Webseite eingerichtet. Dort könnte ich mir aus diversen Textbausteinen ganz einfach meine persönliche Einwendung zusammenstellen und mit einem Klick abschicken.
Ich habe das dann nicht gemacht.
Nicht, weil ich dem Vorhaben nichts abgewinnen konnte, sondern weil ich diese Art von Bürgerlobbyismus für wenig demokratiefördernd halte. Es gibt gute Gründe dafür, die Praxis des Wirtschaftslobbyismus in unserem Land kritisch zu sehen. Das hier kann aber nicht wirklich die Antwort darauf sein.
Mit wenigen Klicks eine inhaltliche Argumentation zu generieren, heißt Diskurs zu simulieren.
Wer staatlichen oder wirtschaftlichen Institutionen mangelnde Diskursbereitschaft vorwirft, sollte selbst anders agieren. Mit solchen Methoden wird am Ende nur die tatsächlich inhaltliche Replik von Betroffenen entwertet und all denen Vorschub geleistet, die solche Konsultationsprozesse nicht als Chance, sondern als lästiges, zeitfressendes Übel begreifen.
Da sind Kampagnenplattformen ehrlicher, die schlicht mit einem Klick Unterschriften unter knackigen Forderungen sammeln. Sie zählen spontane Wunschbekundungen und geben sich gar nicht erst den Anschein, einen Diskurs zu führen.
nd doch sind auch diese Plattformen und deren Wirkung nicht ohne Komplexität und unerwartete Wirkungen.
Vielleicht erinnern Sie sich: Vor einigen Wochen sprachen wir über Geschichte, Theorie und Praxis von Petitionen (siehe „Die Untertanenbitte“). Ein Phänomen konnten wir dabei nur am Rande streifen: Die rasant an Bedeutung gewinnenden Unterschriften-Plattformen wie Avaaz, WeMove, WeAct und Change.org.
Wir haben damals schnell klären können, dass sie weniger mit der klassischen Petition, sondern eher mit politischen Kampagnen gemeinsam haben, das Thema dann aber nicht weiter verfolgt.
Zahlreiche Leser*innen haben mich gebeten, deren Konzepte und Wirksamkeit noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Dazu habe ich heute eine gute Nachricht:
In der vergangenen Woche ist genau dazu ein kleines, sehr lesenswertes Büchlein von Martin Zülch erschienen: „Klick-Aktionismus oder Anstiftung zu solidarischem Handeln?“.
Die Europäische Union ist die erste transnationale Demokratie mit über 400 Millionen Bürger*innen. Sie verspricht politische Teilhabe, steht jedoch häufig in der Kritik, diesem Anspruch nicht gerecht zu werden. Von vielen wird sie als „Lobbyisten-Paradies“ bezeichnet. Vertreter*innen von Wirtschaftsinteressen versuchen intensiv, ihre Ziele auf die politische Agenda zu setzen.
Es ist deshalb nur folgerichtig, dass auch NGOs nach Möglichkeiten suchen, ihren Argumenten Gewicht zu verleihen.
In letzter Zeit nutzen sie deshalb verstärkt digitale Petitionsplattformen, um in der europäischen Politik wirksam zu werden. Martin Zülch erörtert in seinem Buch Vorgehen und Aussehen dieser innovativen Möglichkeit der Meinungsäußerung. Handelt es sich bei Online-Petitionen lediglich um „One-Klick-Campaigning“? Oder stellen sie ein probates Mittel dar, um das Agenda-Setting in der EU stärker gemeinwohlorientiert auszurichten? Diese Fragen diskutiert der Autor intensiv.
Eine lesenswerte Studie, nicht nur, weil sie von unserem Berlin Institut für Partizipation in dessen neuem RepublikVerlag herausgegeben wurde (das sei der Transparenz halber erwähnt), sondern auch, weil sie die demokratiepolitischen Aspekte nicht unberücksichtigt lässt.
Ohne der Lektüre vorgreifen zu wollen, können wir dabei feststellen: Es ist, wie meistens, kompliziert: Für viele mag die „Ein-Klick-Partizipation“ auf Dauer die einzige Form politischer Teilhabe bleiben, für andere ist sie der Impuls dazu, ein Thema mit Menschen aus ihrem Umfeld zu diskutieren, Dritte wiederum fühlen sich dazu angeregt, selbst ein aktiver Teil der Kampagne zu werden.
Unterschriftenkampagnen sind schon immer ein Teil unserer politischen Kultur. Schon in den 80er Jahren sammelte die Friedensbewegung, damals noch analog, über vier Millionen Unterschriften unter den „Krefelder Appell“, heute finden diese Sammlungen digital statt.
Sie sind ein Grundrecht und sie sind demokratiefördernd, wenn sie Diskurse anregen, politische Themen in die öffentliche Aufmerksamkeit holen, wenn sie Lösungen thematisieren statt Schuldige zu suchen, wenn sie zusammenführen wollen, statt zu spalten.
Sie in den drei Säulen unserer Demokratie (direktdemokratische Entscheidungen, repräsentative Strukturen, Beteiligungsdiskurse) zu verorten, ist nicht ganz einfach. Ein Grundrecht (jenes auf kollektive Meinungsäußerung) sind sie allemal. Und für eine kluge Politik auch ein Gradmesser und Themenkatalog.
Im Idealfall lösen sie in allen drei Säulen Prozesse und Angebote aus. So wie gerade in mehreren Bundestagsfraktionen darüber nachgedacht wird, Bürgerräte nicht nur zu institutionalisieren, sondern sie auch durch ein (online gesammeltes) Quorum von Bürger*innen initiieren zu lassen. Ein charmanter Gedanke, der nicht nur im Sinne einer vielfältigen, sondern gar einer integrierten Demokratie ist.
Doch das ist schon wieder ein eigenes Thema.