#74 | Eine Frage der Macht

Macht in einer Demokratie ist eine Lizenz. Und die ist immer befristet.

Ausgabe #74 | 3. Juni 2021

Eine Frage der Macht

„Was war Ihre größte Enttäuschung als Präsident?“ wurde Bill Clinton, der 42. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, viele Jahre nach seiner Präsidentschaft gefragt. Seine überraschende Antwort: „Der Mangel an Macht.“

„Da kämpfst du Jahre deines Lebens um diesen Job“, erläuterte er. „Du ordnest dem Ziel alles unter, organisierst und investierst Millionen Dollar, verlierst deine besten Freunde. Und nach zwei Wochen im Oval Office stellst du fest, dass du so gut wie gar nichts entscheiden kannst.“

Sicher hat Bill Clinton ein wenig übertrieben. Immerhin gilt das Amt eines US-Präsidenten als im internationalen Vergleich mit besonderer Machtfülle ausgestattet. Und kaum ein anderer Mensch kann so schnell einen globalen Atomkrieg auslösen wie der Präsident der Vereinigten Staaten.

Dennoch ist die Macht jedes Regierenden in einer Demokratie stets beschränkt. Durch Gesetze. Durch die politische Bürokratie. Durch Rücksichtnahme auf Koalitionspartner und Verbündete. Durch die Medien. Und manchmal auch ein wenig durch die Opposition.

Ein Teil des Scheiterns von Donald Trump liegt darin begründet, dass er diese Begrenzungen nie wirklich akzeptieren konnte.

Macht in einer Demokratie unterliegt noch einer weiteren Beschränkung. Sie wird gerne übersehen. Auch von den Machtausübenden.

Sie ist auch wenig sichtbar. Und doch ist sie die zentrale Form der Machtbegrenzung, die Demokratien von autoritären Staaten unterscheidet:

In einer Demokratie ist jede Macht in jedem Moment ausschließlich geliehen. Das ist mehr als eine verfassungsrechtliche Formalie. Es ist das Wesen der Demokratie. Und damit eine Implikation für alles Handeln von politischen Mandatsträger*innen und den von ihnen bestimmten Verwaltungen.

Im Alltag ist das oft schwer zu verinnerlichen. Die aktuell Mächtigen werden stets umschmeichelt.

Das ist in einer Demokratie nicht anders als in einer Monarchie. Dabei in keinem Moment zu vergessen, dass der Kaiser zwar nicht nackt ist, seine Kleider aber nur geliehen, fällt schwer.

Aber: Es ist so.

Und das gilt auch für Verwaltungen. Sie existieren in der Regel länger als Politiker*innenkarrieren, länger als Regierungen, ja oft sogar länger als Parteien. Doch das ändert – für jede einzelne Verwaltungseinheit in einer Demokratie – nichts daran, dass auch ihre Macht nur geliehen ist.

Warum ist das wichtig?

Weil es insbesondere in Fragen der Bürgerbeteiligung einen etwas anderen Blick ermöglicht. Vor diesem Hintergrund geht es eben nicht darum, dass ein mehr oder weniger mächtiger Staat, repräsentiert durch seine Institutionen, seine Bürger*innen großzügig an Entscheidungsprozessen mitwirken lässt.

Vielmehr ist es so, dass die Institutionen mit (geliehener) Macht denjenigen, die ihnen diese Macht (auf Zeit) anvertraut haben, proaktive Rechenschaft anbieten – also den Diskurs darüber, wie mit dieser Macht verantwortungsvoll umgegangen wird.

Stellen wir uns vor, unser Nachbar leiht unsere teure Bohrmaschine. Plötzlich sehen wir beim Blick über den Zaun, wie er damit einen Sack Schwerbeton nach dem anderen anrührt. Wir merken vorsichtig an, dass sie dafür aber eigentlich nicht ausgelegt ist. Wie würden wir reagieren, wenn der Nachbar uns harsch entgegen würde:

„Das geht Sie gar nix an.“

Zum Glück ist das bei uns im Lande nicht die Regel. Aber eben auch nicht die Ausnahme. Noch wird zu selten beteiligt. Und wenn, dann noch zu oft mit einem generösen Gestus „von oben nach unten“.

Es lohnt sich, bei der Konzeption eines Beteiligungsprozesses also einfach mal andersherum zu denken. Wie würden wir mit dem eigentlichen Besitzer der Bohrmaschine umgehen? Denn denken wir daran: Sie gehört ihm. Nicht uns.

Das gilt auch für das Verhalten unserer Regierenden auf allen Ebenen. In einer Demokratie können wir erwarten, dass sie mit der Macht so umgehen, wie mit jedem Gut, das ihnen nicht gehört. Sie müssen es eines Tages wieder zurückgeben.

Unbeschädigt.

Und das ist die größte Herausforderung. Damit das gelingt, ist der zwischenzeitliche Dialog mit dem Verleiher dieser Macht mehr als nur eine Option.

Es ist eine Selbstverständlichkeit.

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5 Kommentare
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Karin Rasmussen
3. Juni 2021 15:53

Sehr gut geschrieben. Doch wie soll der eigentliche Souverän – das Volk – Interesse ind Lust an der Machtbeteiligung entwickeln, wenn durch Medie, Bildung und Kultur ständig der Eindruck erweckt wird, die „MACHHABER“ seien immer und überall aufgrund ihrer Unfähigkeit in Gemeinschaft mit moralisch verwerflicher Vorteilssucht die Verursacher aller Widrigkeiten? Wenn immer „die Politik“ , „das Kanzleramt“, einzelne Funktionsträger oder ähnliche Instututionen aufgefordert sind, einerseits alles zu regeln und andererseits diese Regeln dann sabotiert, irgnoriert oder diffamiert werden? Pervertiert dann nicht die vielgerühmte Beteiligung zum Scheindiskurs? Demokratie ist mehr, als die Freiheit, DAGEGEN zu sein. Zur Demokratie gehört auch die Priorität des Gemeinwohls vor dem Parteien-, Gruppen- und Personenvorteil.

ChrIsthard LäppLe
11. Juni 2021 8:40

Haben sie mal die Zahl Ihrer Sternchen * gezählt?
Was mir auffällt.
Der missionarische Eifer der Umerziehenden ist beeindruckend. Dummerweise ist dieser Ansatz von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen – nicht nur in Sachsen-Anhalt – meilenweit entfernt.
Weiter guten Flug in großer Höhe über den Ebenen des Alltags.

Tilo Garlipp-Gramann
24. Juni 2021 15:36

Ein sehr guter Text! Wann nur endlich, wird der von mir (wie wohl auch vielen anderen) so herbeigesehnte Wandel im Bildungssystem kommen – hin zu mehr Demokratie leben, erfahren und erlernen, hin zu mehr Demokratiekompetenzen und nicht nur MINT-Kompetenzen erwerben?
Ich verstehe nicht, dass diese Zusammenhänge zwischen demokratisch gesinnten Menschen in einer Gesellschaft und der Ausgestaltung des Bildungssystems scheinbar noch längst nicht in den Bildungsministerien der Republik erkannt und Letztere in ihrer dringenden Reformbedürftigkeit verstanden wurden. Das alles ist doch nun echt kein Geheimnis. Woran liegt’s?

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