Ausgabe #8 | 20. Februar 2020
Haltung als Methode
Waren Sie schon einmal auf einem Barcamp? Die Wahrscheinlichkeit steigt, je mehr Sie beruflich mit Digitalisierung zu tun haben. Denn in der IT-Branche sind Barcamps seit einigen Jahren hip.
Zunehmend werden sie jedoch auch in anderen Bereichen angeboten. Ich selbst habe Barcamps bereits in Einzelhandelsunternehmen, Wirtschaftsverbänden, Umweltorganisationen, ja sogar bei Kirchen und Gewerkschaften moderiert.
Jeder, der die Methode kennt, weiß, dass dabei die offene Themensammlung zu Beginn ein wesentliches, wenn nicht das definierende Element eines Barcamps ist.
Nur ist das mit vielen Auftraggebern nicht zu machen.
Die einen haben Sorge, dass ihre Teilnehmer zu wenig Input liefern könnten, die anderen fürchten sich vor den falschen, vielleicht zu kritischen Themen.
Was macht man in einem solchen Fall? Kein Barcamp? Keine Beteiligung? Oder besser ein anderes Format, mit mehr Vorgaben, weniger Freiheit?
Es ist leichter als man glaubt, eine Methode wie ein Barcamp, eine Planungszelle, das Ephesos-Modell oder die Appreciative Inquiry falsch anzuwenden. Das liegt allein schon daran, dass viele dieser Formate durch ein komplexes Regelwerk definiert werden.
Tatsächlich werden Tag für Tag Beteiligungsmethoden unbewusst oder absichtlich falsch, fehlerhaft oder modifiziert angewandt. Oft resultiert daraus dennoch gute Beteiligung. Manchmal führt dies jedoch zu Frustrationen und Konflikten, hin und wieder sogar zum Scheitern eines Prozesses.
Wie wichtig sind also die Auswahl und korrekte Umsetzung geeigneter Beteiligungsmethoden und -formate für den Erfolg? Wie findet man überhaupt die passende Methode? Wie unterscheidet man zwischen guter und schlechter Methode, zwischen geeignet und ungeeignet?
Der erfahrene Dialoggestalter Stefan Löchtefeld und ich haben dazu kürzlich ein längeres ePaper veröffentlicht, das Antworten auf diese Fragen gibt. Und darin auch darlegt, dass diese Fragen weit weniger wichtig sind, als viele glauben – und manche uns glauben machen wollen.
Warum?
Weil die Beteiligungsszene auch eine Wirtschaftsbranche ist. Wir beobachten insbesondere in den letzten Jahren zunehmend Startups und Geschäftsmodelle, die auf einer einzigen, möglichst exklusiven und universellen Methode basieren.
Problematisch wird es dann, wenn eine solche Methode von Anbietern quasi als „partizipative Allzweckwaffe“ angedient wird.
Das ist schon alleine deshalb ziemlich sinnfrei, weil es eine unübersichtlich große, stetig weiter wachsende Methodenvielfalt gibt.
So listet allein die Bundeszentrale für politische Bildung aktuell 276 Methoden nur für Kinder- und Jugendbeteiligung auf, die Webseite Partizipation.at stellt rund 30 Methoden vor, die Methodendatenbank des Berlin Institut für Partizipation schildert rund 100 Methoden ausführlich und vergleichbar strukturiert.
Das es darunter die eine, universelle, alles überragende Methode mit Erfolgsgarantie gibt, ist unwahrscheinlich. Es bleibt also die Qual der Wahl.
Doch die ist gar nicht so wichtig.
Ein ernsthaft betriebener Beteiligungsprozess, ob mit losbasierten Teilnehmer*innen oder als offene Betroffenenbeteiligung konzipiert, mit transparenten Informationen, klarer Kommunikation über den realen Mitwirkungsumfang, unter positiver, wertschätzender Mitwirkung der Entscheider, mit einer neutralen, kompetenten und teilnehmerzentrierten Moderation, wird funktionieren, selbst wenn in Teilen unsauberere und suboptimale Methoden eingesetzt werden.
Die Wahrheit lautet: Es gibt keine universelle Methoden mit Erfolgsgarantie, auch wenn einzelne Dienstleister oder Urheber dies anders darstellen.
Es gibt geeignetere und ungeeignetere Methoden, aber letztlich ist es eine Frage der Haltung der Beteiligenden und der Kompetenzen der Moderation. Ein wichtiger Bestandteil dieser Kompetenzen ist eine selbstkritische Grundeinstellung und eine gesunde Respektlosigkeit vor Methodenjüngern aller Art.
Gute Beteiligung ist keine Frage der Methode, sondern der Haltung.
Herzlichst, Ihr Jörg Sommer