Ausgabe #93 | 14. Oktober 2021
Im digitalen Dunkeln
Das Ende der Welt begann an einem Montagabend. In der vergangenen Woche: WhatsApp fiel aus.
Und Instagram. Und sogar Facebook. Für sechs Stunden befanden wir uns in digitaler Dunkelheit. Nicht völlig, aber für viele doch so tief, dass Hysterie ausbrach. Milliarden von Handys wurden neu gestartet. Immer und immer wieder. Viele, insbesondere junge Menschen, fühlten sich nach eigenen Angaben so, wie sie sich eine postapokalyptische Gesellschaft vorstellen: Alles ist kaputt und sie sind die einzigen Menschen auf der Erde.
Andere sahen das entspannter. Sie diskutierten, ob ein Leben ohne Social Media vielleicht nicht doch besser wäre. Natürlich fanden diese Debatten online statt – nach einem massenhaften spontanen Umzug auf andere Plattformen. Am Ende ging die Welt nicht wirklich unter. Schon einen Tag später war unsere digitale Welt wieder die Alte und unsere Abhängigkeit von den Digitalkonzernen wieder komplett hergestellt.
Wir können uns ein Leben ohne digitalgetriebene Kommunikation schlicht nicht mehr vorstellen. Unsere digitalgetriebene Demokratie hinkt dieser Entwicklung noch hinterher. Aber sie nimmt Fahrt auf.
Das internationale People Powered Netzwerk erarbeitet zur Zeit einen Leitfaden zur Nutzung digitaler Beteiligungsplattformen. Auch unser Berlin Institut für Partizipation ist beteiligt. Untersucht werden nur Plattformen die nachweislich breit eingesetzt werden. Die Liste umfasst aktuell über 60 Tools – und sie wächst weiter.
Wir erleben gerade einen unglaublichen Boom digitalgetriebener Teilhabe in fast allen großen demokratischen Ländern. Es herrscht Aufbruchstimmung. Viele der Plattformen werden wieder verschwinden, weil sie zu komplex sind, zu starr, technisch anfällig oder strukturell falsch kommuniziert. Und vor allem: Jede Plattform braucht eine Andockfähigkeit zu realen Beteiligungsinteressen und Wirkungsmöglichkeiten.
Da hinkt die Entwicklung noch gewaltig hinterher. Wir produzieren Tag für Tag Gigabytes an neuem Programmcode, haben aber noch keinen Plan, wie wir tatsächlich Demokratie im digitalen Zeitalter praktizieren wollen. Und wir haben keinen Plan, wie wir das digitale Zeitalter demokratisch organisieren wollen. Wir experimentieren noch immer fröhlich und unverbindlich herum.
Einen Plan haben andere. Facebook, WhatsApp, Instagram und ihre Wettbewerber wissen ziemlich genau, was sie tun. Ihnen ist bewusst, welche Wirkung das auf unsere Gesellschaft hat. Keine Gute, wie ebenfalls in der vergangenen Woche eine Whisteblowerin in den USA noch einmal eindringlich bestätigte. Im Grunde können wir froh sein, dass es den Betreiber*innen aktuell vor allem um Rendite geht, darauf haben sie ihre Prozesse ausgelegt.
Neulich berichtete ein Digitalexperte von einem spannenden Erlebnis: Er war ein Wochenende zu Hause bei seinen Eltern. Weil er seine Zahnpasta vergessen hatte, benutzte er die seiner Mutter. Tage später bekam er auf diversen Kanälen gezielt Werbung für exakt diese Zahnpasta eingespielt. Natürlich hatte sein Handy ihn nicht abgehört, das ist ein verbreiteter, aber falscher Mythos.
Es geht viel einfacher: Die Netzwerke wissen, wo wir sind. Sie wissen, wer noch da ist. Sie wissen, was die anderen mögen. Und sie gehen davon aus, dass sie uns für dieselben Dinge begeistern können. Es funktioniert oft genug, um immer weiter perfektioniert zu werden.
Schlimm? Ja. Was aber wäre, wenn solche Tools systematisch für politische Beeinflussung genutzt würden? Wenn wir nicht nur Werbung, sondern politische Inhalte exakt so eingespielt bekämen, dass sie uns bei unseren Präferenzen und Vorurteilen abholen?
Das tun sie heute schon – aber vor allem, um uns zu längerer Verweildauer und mehr Konsum zu bewegen, die politische Blasenbildung ist nicht das Ziel, sondern der Kollateralschaden.
Es braucht jedoch wenig Phantasie, um sich Manipulationstools vorzustellen, von denen ein Reichspropagandaminister Goebbels feuchte Träume bekommen hätte.
Und was machen wir Demokrat*innen? Wir suchen noch nach den heißesten Online-Tools für Beteiligungsformate und versuchen, endlich eine datenschutzkonforme Umsetzung von Videokonferenzen hinzubekommen. Beides ist richtig. Und wichtig. Aber es genügt nicht.
Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, was die Digitalisierung jenseits von Tools für unsere Demokratie bedeutet. Wie sie diese verändert. Und wie sie sich verändern muss, um auch in einer digitalen Welt noch die Gestaltungsmacht zu haben, die sie dringend benötigt.
Darüber diskutieren können wir übrigens auch miteinander, zum Beispiel am 25. November auf der D3-Konferenz DEUTSCHLAND DIGITAL DEMOKRATISCH. Viele spannende Referent*innen tragen zum Programm bei. Ich werde die Keynote halten und wir werden ausreichend Gelegenheit haben, um uns auszutauschen. Und ja, die Konferenz ist digital. Die Plätze sind limitiert, also melden Sie sich am besten heute noch an.