Ausgabe #112 | 24. Februar 2022
Markt und Moderation
Die Redaktion der Deutschen Welle konnte sich den Kalauer nicht verkneifen: „Die Deutschen kommen auf den Hund“. So betitelte die Redaktion ihren Beitrag über ein Phänomen, das viele von uns auch im persönlichen Umfeld erleben.
Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach Hunden dramatisch angestiegen. Die Tierheime wurden im Rekordtempo lehradoptiert. Nur alte und kranke Tiere blieben.
Züchter*innen konnten Traumpreise aufrufen und unseriöse Welpenfabriken aus Osteuropa produzierten am Fließband. Selbst für Kofferraumwelpen ohne Papiere wurden auf deutschen Autobahnraststätten vierstellige Summen hingeblättert.
Als langjähriges Mitglied des Deutschen Tierschutzbundes gruselt mich diese Entwicklung schon jetzt. Doch was wird erst geschehen, wenn die Homeoffice-Pflicht vorbei ist? Wenn der süße Welpe gerade dann in die Pubertät kommt, wenn er nun plötzlich allein zu Hause bleiben soll?
Wir können es nur ahnen.
Was wir aber wissen: Erhöhte Nachfrage sorgt immer für ähnliche Entwicklungen. Die Preise steigen und das Angebot zieht nach. Dass dieses steigende Angebot meist zu Lasten der Qualität geht, ist ein weiterer Effekt.
Vergleichbares beobachten wir auch in einem Bereich, der näher an den Themen unseres Newsletters ist. Die Entwicklung hier ist nur zum Teil coronagetrieben. Wir sprechen von der seit Jahren stetig zunehmenden Zahl von Beteiligungsveranstaltungen.
Sie alle brauchen Moderator*innen.
Ob Planungszelle, Bürgerrat oder Informationsveranstaltung zum Leitungsbau: Ohne Moderation geht nichts. Eine Erhebung des Berlin Instituts für Partizipation hat die Entwicklung auf öffentlichen Ausschreibungsportalen in den vergangenen Jahren ausgewertet: Ausschreibungen mit Bezug zur Beteiligung sind deutlich gestiegen – betreffen aber in der Mehrzahl der Fälle mehr oder weniger ausschließlich: Moderation.
Fast alle größeren Beteiligungsdienstleister verfügen über eine ganze Truppe erfahrener Moderator*innen, dazu kommen zahlreiche auf Beteiligungsmoderation spezialisierte Freiberufler*innen, die meisten mit hoher Kompetenz und jahrelanger Erfahrung.
Aber: Das reicht aktuell nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Es werden mehr Moderator*innen benötigt, als der Markt qualitativ hochwertig bedienen kann.
Und ähnlich wie bei den eingangs erwähnten Welpen tauchen nun vermehrt Moderator*innen auf, die über wenig Erfahrung und manchmal auch über wenig Kompetenz verfügen.
Das hat auch etwas mit einem häufigen Missverständnis zu tun: Moderation und Moderation können sehr verschiedene Dinge sein.
Die Moderation einer konfliktgetriebenen Bürgerversammlung ist mit einer Abendgala nicht zu vergleichen. Wer eine Oscar-Verleihung souverän durchmoderiert, kann schon in einer Infoveranstaltung zu einem Windpark nach 10 Minuten Chaos produziert haben.
Zu meinen Aufgaben gehört ja recht häufig auch die Teilnahme an Talkrunden und Podiumsdebatten. Fast immer werden die von TV-Journalist*innen moderiert. Entsprechend werden sie auch vorbereitet.
Manchmal muss man sogar zu einer Probe erscheinen, die Fragen sind vorher bekannt, die Antworten zumindest in Stichworten abgestimmt. Die Redezeit ist auf 10 Sekunden genau choreographiert. Am Ende kann so ein unterhaltsames Gespräch entstehen.
Mit Beteiligung hat das nichts zu tun.
Erst kürzlich habe ich erlebt, wie der Chefredakteur einer Tageszeitung ein Town-hall-Format zu einer umstrittenen Industrieansiedlung moderierte. Oder moderieren wollte.
Schon beim dritten Redebeitrag entglitt ihm das Publikum. Eine Bürgerinitiative kaperte die Veranstaltung, der Moderator ließ deren Sprecher das Mikrofon abstellen, der Saal kochte. Es blieb nur ein Abbruch – und langfristig verbrannte Erde.
Der Redakteur ist ein brillanter Journalist. Beteiligungsevents wird er vermutlich nie wieder anfassen.
Moderation von Beteiligung ist anspruchsvoll. Sie hat mit Kartenvorlesen bei Kulturevents wenig Gemeinsames. Wer das eine kann, muss das andere nicht können. Und, das sage ich als ausgebildeter Tageszeitungs-journalist: Nichts, was ein Journalist können muss, hilft ihm in der Moderation komplexer Teilhabesituationen.
Aktuell berichten uns immer wieder Kommunen und andere beteiligende Institutionen von schlechten Erfahrungen mit Moderator*innen sowie Angeboten von Moderator*innen, die kaum Erfahrungen mit Beteiligungsprozessen haben.
Auch die erfahrensten Moderator*innen haben natürlich irgendwann einmal begonnen. Und es gibt Naturtalente, die schnell lernen. Am Ende aber braucht es auf Erfahrung und Methodenkompetenz basierende Professionalität. Und vor allem: die richtige Haltung. Was es jedoch nicht gibt, sind einheitliche Standards, darauf beruhende Aus- und Fortbildungen oder eine irgendwie organisierte Qualitätssicherung in der Beteiligungsmoderation.
Ganz ähnlich war früher der Zustand in einem verwandten Genre: der Mediation. Auch hier gab es gute Mediator*innen. Dennoch blieb es für die Klient*innen noch immer ein Zufall, ob sie eine/n qualifizierten Mediator*in oder einen Schaumschläger erwischten.
Erst nach der Jahrtausendwende änderte sich das: Ein zunächst kleiner Berufsverband organisierte nach und nach immer mehr Mediator*innen, entwickelte Standards, bot eine hochwertige Ausbildung an und konnte am Ende eine Lizensierung durchsetzen. Heute ist klar, wer eine/n vom Bundesverband Mediation lizensierte/n Mediator*in konsultiert, bekommt Qualität.
Die Beteiligungsszene ist noch jung und wenig strukturiert. Dabei ist nicht nur die Moderation, sondern auch die Konzeption und Organisation von Beteiligung mindestens so herausfordernd wie eine strukturierte Mediation. Vielleicht können wir Beteiliger*innen ja von den Mediator*innen lernen? Mehr Qualität in der Moderation wäre jedenfalls ein wünschenswerter, erster Schritt.
Bis dahin hilft bei der Suche nach guten Moderator*innen nur eine alte, aber bewährte Methode: solide Referenzen.