Ausgabe #170 | 6. April 2023
Relevanz
Der Autor des Beitrages in der taz regte sich mächtig auf. Er schilderte, wie die Berliner Senatsverwaltung diverse Großprojekte gegen den Willen der Bürger*innen durchsetzen will.
Die kritisierten Methoden: künstlicher Zeitdruck, Planungsbeschleunigungsgesetz, Einschränkung des Rechtsweges. Dazu „frühe“ Bürgerbeteiligung, die aber frei von jeder Wirkungsmöglichkeit sei.
Das Spannende an diesem Beitrag: Er erschien vor rund 30 Jahren. Manchmal scheint es, die Themen und Methoden in der Politik hätten sich kaum weiterentwickelt.
Doch der Eindruck täuscht. Natürlich werden auch heute noch immer Beteiligungsprozesse auf die Generierung von Akzeptanz für längst geplante Vorhaben ausgerichtet.
Doch das ist längst nicht mehr die Regel.
Dass wirkungslose Beteiligung wertlose Beteiligung ist, wird zwischenzeitlich in Politik und Verwaltungen weitgehend auch so gesehen.
Bürgerbeteiligung als Placebo funktioniert nur noch selten, beinahe nie. Beteiligung generiert Resonanz, wie wir in der vergangenen Woche gesehen haben.
Sie braucht aber eben auch: Relevanz.
Die ist komplex. Selten wird das Ergebnis eines Beteiligungsprozesses 1:1 in politische Beschlüsse umgesetzt. Oft sind es Sachzwänge, Rechtsrahmen, Budgets oder parteipolitische Aushandlungsprozesse, die am Ende zu einer Melange führen, in der die Beteiligungsergebnisse Relevanz haben – aber eben nur als ein Faktor unter mehreren.
Um so wichtiger ist es, diese Relevanz stets herauszuarbeiten, sichtbar zu machen – und der Öffentlichkeit sowie den Beteiligten zurückzuspiegeln.
Tatsächlich kann eine transparente Rückkopplung zur Wirkung der Beteiligungsergebnisse ganz entscheidend für die abschließende Bewertung sein, ob die Beteiligung wirklich „gut“ war.
Deshalb ist diese Rückkopplung auch fester Bestandteil der „10 Grundsätze Guter Beteiligung“, die von der Allianz Vielfältige Demokratie entwickelt wurden.
Vertreter*innen von über 100 Institutionen und Organisationen haben daran mitgearbeitet – heute gelten sie als Standard für die Planung guter Beteiligungsprozesse – und deren Evaluation.
Doch auch für solche Standards gilt: Entscheidend ist, wie relevant sie in der Praxis sind.
Und da kommt eine Maßnahme ins Spiel, die ich Ihnen heute kurz vorstellen möchte – und Sie gleichzeitig einlade, sich daran zu beteiligen:
In Deutschland gibt es die seltsamsten Auszeichnungen.
Wir haben nicht nur den Torschützen des Jahres, sondern auch das Tier des Jahres, wir prämieren den Pfeifenraucher des Jahres, den Krawattenträger des Jahres. Tatsächlich sind bemerkenswert viele ausgezeichnete Personen in unserem Land Männer.
Doch wir prämieren nicht nur Männer. Sondern zum Beispiel auch die Mikrobe des Jahres. Aktuell ist dies Bacillus subtilis.
Wim Wenders dagegen ist wiederum ein Mann. Er wurde vor einiger Zeit sogar zum „Düsseldorfer des Jahres“ gekürt – die aktuelle Jury besteht übrigens ausschließlich aus Männern.
Wir produzieren also dubiose Preise, fragwürdige Siegel und Auszeichnungen zu den unmöglichsten Themen. Warum? Weil sie Aufmerksamkeit bringen.
Manchmal sogar für wirklich relevante Themen.
Es macht Sinn, besonders nachhaltige Unternehmen auszuzeichnen oder kinderfreundliche Kommunen. Weil es anderen die Chance gibt, sich motivieren und inspirieren zu lassen.
Um so überraschender, dass wir in Deutschland bislang zwar Mikroben prämieren, nicht aber gute Bürgerbeteiligung.
Es gab über die Jahre immer mal wieder einzelne, kurzlebige Versuche u. a. des Bundesumwelt(!)ministeriums. Aber dauerhaft und mit klaren Kriterien? Fehlanzeige.
Doch das soll sich jetzt ändern. Aktuell läuft die Bewerbungsphase zur bundesweiten Auszeichnung „Gute Bürgerbeteiligung“. Prämiert werden gute Beteiligungsprozesse, Kriterien sind tatsächlich die bereits erwähnten „10 Grundsätze Guter Beteiligung“. In der zweistufigen Juryauswahl sind kompetente und bekannte Akteure der Bürgerbeteiligung vertreten.
Träger der Auszeichnung sind zwei Partner: Das bundesweite Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung und das als Geschäftsstelle fungierende Berlin Institut für Partizipation.
Als Direktor des Instituts habe ich einen aktuellen Überblick über die bisher eingereichten Bewerbungen. Verraten darf ich nichts. Nur so viel: es sind wunderbare Projekte dabei – und es lohnt sich, das übersichtliche Bewerbungsformular auszufüllen, da am Ende nicht nur ein Vorhaben ausgezeichnet wird.
Die Auszeichnung wird künftig jährlich vergeben. Wir werden sehen, ob sie dauerhaft Best Practice Beispiele sichtbar machen kann. Ende Mai endet die Bewerbungsfrist. Im kommenden Herbst werden die Preisträger veröffentlicht.
Wir dürfen gespannt sein.