Ausgabe #184 | 13. Juli 2023
Verrückte Phantasien
Vor fast genau 100 Jahren wurde die KI erfunden. Also die „Künstliche Intelligenz“.
Wie das sein kann? Lang bevor es Computer gab?
Lang ist das richtige Stichwort.
Fritz Lang hieß der Drehbuchautor. Und der Regisseur. Und der Schnittmeister, der über 600km belichteten Film zu einer der größten Legenden der Kinogeschichte zusammenschnitt.
Metropolis hieß der Film.
Es war die teuerste Produktion seiner Zeit. Und er floppte beim Publikum.
So gnadenlos, dass die Fassung der Premiere nie wieder gezeigt werden sollte. Später erschien der Film noch einmal, deutlich gekürzt und dennoch wurde er ein kommerzielles Fiasko.
Die Produktionsgesellschaft UFA ging daran fast bankrott. So konnte sie günstig von Alfred Hugenberg geschluckt werden. Der Mann hatte mit seinem Medienimperium später wesentlichen Anteil am Aufstieg der Nazis. Doch das ist eine andere Geschichte.
Uns interessiert heute Maria.
Diese Maria gibt es in Metropolis gleich zweimal:
Einmal als junge, unschuldige Frau, in die sich der Sohn des Diktators Joh Fredersen verliebt.
Und einmal als „Nachbau“, als Roboter, als künstliche Intelligenz, die in Marias Erscheinung dazu missbraucht werden soll, die rechtlosen Arbeiter von einer Revolution abzubringen.
Am Ende funktioniert das nicht. Vor allem aufgrund diverser dramaturgisch absurder Zufälle.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass schon die vermutlich erste KI der Filmgeschichte ein Werkzeug war, mit dem der Schöpfer viel Hoffnungen verband.
Garantiert aber nicht jene, das Gemeinwohl zu fördern.
Schon KI-Maria war ein Tool, das für vieles taugte. Entscheidend war, wer es beherrschte.
Das ist auch 100 Jahre später nicht viel anders.
Aktuell erleben KI-basierte Tools, Produkte und Dienstleistungen einen enormen Hype. Sie lösen unbegrenzte Phantasien aus.
Und machen uns doch irgendwie Angst.
Die Angst ist nicht unbegründet. Doch heute wollen wir uns mal mit der Phantasie beschäftigen.
Und zwar der Phantasie vom Einsatz der KI in der Bürgerbeteiligung.
Gestern gab es dazu einen stark besuchten Online-Workshop des Berlin Institut für Partizipation. Wissenschaftler*innen und Menschen aus der Beteiligungspraxis diskutierten über ganz unterschiedliche Phantasien.
Prof. Dr. Gerhard Heyer vom Institut für Informatik der Uni Leipzig führte in die Arbeitsweise sprachbasierter KI-Modelle ein. Ich konnte eine Übersicht der Einsatzmöglichkeiten auch anderer KI-Tools im Rahmen aller Phasen von Beteiligungsprozessen vorstellen.
Nicht alle vorgestellten Einsatzmöglichkeiten sind heute real, aber alle sind bereits mit dem heutigen Stand der Technik realisierbar.
Das fängt schon vor der Beteiligung an.
KI kann Beteiligungsanlässe erkennen und darauf hinweisen. Durch intelligente Analyse der Medien und social networks, ja sogar durch Analyse einer kommunalen Vorhabenliste.
Entsprechend trainiert weiß KI sehr gut, wann zu welchen Themen Beteiligung empfehlenswert ist.
Auch beim sogenannten „Scoping“ ist KI hilfreich. Die richtigen Akteursgruppen zu finden – und die richtige Ansprache zu empfehlen, all das kann KI lernen. Und wenn sie einmal damit anfängt, wird sie darin Tag für Tag besser.
Das eigentliche Prozessdesign ist die Königsdisziplin der Beteiligung. Stundenland studieren wir Methodendatenbanken, nur um Am Ende oft doch wieder jene Methoden zu bevorzugen, die wir kennen und mit denen wir uns sicher fühlen.
KI kann Methoden präzise auf Thema, Beteiligte, finanzielle, räumliche und zeitliche Ressourcen zugeschnitten anbieten.
Und sie kann – das macht sie heute schon in immer mehr Kommunen – Texte bürgerfreundlich übersetzen. In fremde Sprachen, aber auch in leichte oder einfache Sprache. Sogar speziell zugeschnitten auf Junge, Alte oder andere Gruppen.
Texte kann KI aber auch auswerten. Ob Online-Konsultationen oder Mitschnitte von Beteiligungsveranstaltungen: Argumente können ebenso destilliert werden wie Zustimmungsintensität und Relevanz.
Und wenn kreative Ideen kommen?
KI kann in Echtzeit ermitteln, welche Kosten und Konsequenzen sie mit sich brächten. Ob Verkehrssimulation oder Haushaltsrelevanz, es gibt nichts, was die KI nicht potentiell schneller, neutraler und präziser ermitteln kann.
Selbst die Evaluation von Prozessqualität und langfristiger Wirkung wird mit KI eines Tages möglichst ein.
Das Faszinierende daran: Alle geschilderten Einsatzgebiete sind mit heutiger Technik realisierbar. Es ist allein eine Frage des „Trainings“.
Manche sind heute schon im Angebotsportfolio von Dienstleistern, andere Dinge kann mit ChatGPT und Alternativen schon heute von jedem Computer aus umgesetzt werden.
Es gibt also viel Phantasie zum Einsatz der KI in der Beteiligung.
Und die Ängste?
Sind nicht unberechtigt. Mittels KI kann nämlich auch ganz ausgezeichnet manipuliert werden. Doch das soll uns einen eigenen Newsletter Wert sein.
Denn auch heute und in naher Zukunft gilt, was uns schon vor 100 Jahren die künstliche Marie zeigte. Ein Werkzeug ist ein Werkzeug. Und das heißt:
Es kommt drauf an, wer was draus macht.
P.S.: Das Kachelbild dieser Ausgabe von demokratie.plus ist unter Mitarbeit einer KI erstellt worden.