#186 | Das klappt leider nicht

Rund ein Viertel der Menschen in Deutschland hat Ghosting-Erfahrungen machen müssen. Manche auch in demokratischen Prozessen.

Ausgabe #186 | 27. Juli 2023

Das klappt leider nicht

Claudia ist Studentin. Sie heißt nicht wirklich Claudia. Aber ihre Geschichte ist real.

Vier Monate dauerte die Beziehung mit ihrem Freund. Sie trafen sich täglich, lernten sich immer besser kennen. Er stellte sie seiner Mutter vor. Schließlich durfte sie sogar mit ihm gemeinsam Fußball schauen.

Und das war möglicherweise zu früh zu viel.

Jedenfalls hörte Claudia nach diesem Abend nie wieder etwas von ihrem Freund. Plötzlich reagiert er nicht mehr auf ihre Kontaktversuche. Sie sah ihn nie wieder. Und erfuhr nie ob und was sie falsch gemacht hatte.

Schon immer haben sich Menschen einfach aus dem Staub gemacht, ohne eine Erklärung, ohne sich zu verabschieden.

Heute nennt man dieses Verhalten Ghosting. Und es ist zu einem Massenphänomen des 21. Jahrhunderts geworden.

Etwa jeder vierte Mensch in Deutschland hat das schon einmal erlebt. Ghosting kommt in allen Formen der zwischenmenschlichen Beziehungen vor.

Ghosting hinterlässt Kränkungen, manchmal Traumatisierungen. Es verletzt, verunsichert und lässt Menschen bei neuen Beziehungen zögerlicher, ängstlicher, misstrauischer werden.

Sogar im Berufsleben spricht man inzwischen von Ghosting, wenn ein Unternehmen sich nach einem Bewerbungsgespräch nie wieder meldet.

Nicht von Ghosting sprechen wir in einem anderen Fall. Und doch kann er ähnliche Gefühle auslösen. Weil der Prozess ähnlich ist. Weil es keine Erklärungen gibt. Weil man Ressourcen und Emotionen investiert hat und nichts zurückkommt. Weder Wertschätzung noch Information.

Wir sprechen von Beteiligungsprozessen.

Nicht von allen, aber von erstaunlich vielen. Es ist kein klassisches Ghosting, denn die Kommune, das Unternehmen oder der Vorhabenträger verschwindet nicht über Nacht. Die meisten Beteiligungsprozesse haben ein klares Ende, ein Ergebnis. Oft auch ein Dankeschön an die Beteiligten.
Und das war’s dann.

Was mit den Ergebnissen passiert. Wer sie wann mit welchem Ergebnis verarbeitet. Ob und wie sie in politische Entscheidungen, planerische Umsetzung oder Verwaltungshandeln einfließen, entscheidet sich oft erst viel später.

Manchmal werden die Ergebnisse 1:1 umgesetzt. Oft nur zu mehr oder weniger großen Teilen. Nicht selten bleiben sie komplett wirkungslos.

Die Beteiligten erfahren häufig nichts davon. Zumindest nicht vom Beteiliger.

Das ist kein Ghosting, erzeugt aber ähnliche Wirkung.

Woran das liegt?

An der unterschiedlichen Prozesserwartung von Beteiliger und Beteiligten.

Für Beteiliger ist ein Beteiligungsprozess abgeschlossen, wenn es ein formuliertes Ergebnis gibt.

Für Beteiligte ist ein Beteiligungsprozess abgeschlossen, wenn es ein reales Ergebnis gibt.

Selbstwirksamkeitserfahrung gibt es nicht auf dem Papier. Sondern durch Wirksamkeit in der realen Welt.

Genau deshalb ist es so wichtig, den Beteiligten genau diese Wirksamkeit darzustellen. „Do it – or explain it“ ist die Maxime für Beteiligende.

Das wird noch zu oft vergessen oder als lästige Pflicht gesehen. Dabei ist es tatsächlich ein essentielles Element von Beteiligung.

Ein Prozess kann nahezu perfekt sein. Wenn er am Ende ohne Feedback bleibt, wird viel von seiner Wirkung aufs Spiel gesetzt.

Wird es dagegen gut gemacht, kann es die Wirkung von Beteiligung nachhaltig verstetigen und Lust auf mehr machen.

So wie zum Beispiel in Köln. „Hey Köln“ hieß ein Jugendbeteiligungsprojekt im vergangenen Jahr. Und es ist noch nicht vorbei.

Kinder und Jugendliche wurden mit einer digitalen Karte ihres Viertels versorgt. Sie konnten darin spontan dokumentieren, wo es ihnen besonders gut gefiel oder wo sie sich Veränderungen wünschten.

Die Ergebnisse wurden in einer Kinder- und Jugendkonferenz gemeinsam gesichtet – mit Kommunalpolitiker*innen und Mitarbeitenden der Verwaltung.

Und dann hatten Ämter und Politik genau 100 Tage Zeit zu liefern – oder zu erklären.

Auf einer eigenen Webseite sind zu allen Vorschlägen Ergebnisse abrufbar. So wird gezeigt, was in welcher Weise umgesetzt wurde.

Oft steht dort auch „Das klappt leider nicht!“. Und das ist eine gute Nachricht. Weil es eben eine Rückmeldung ist. Und noch wichtiger: Es wird erklärt, warum es nicht klappt.

Auch weil manche Ideen mit Verzögerungen eben doch noch machbar sind. Und dann auch nach weit mehr als 100 Tagen noch ein Update erfahren.

Die Stärke dieses Projektes in Köln liegt nicht in den Formaten, auch nicht im cleveren Einsatz digitaler Tools.

Das Besondere ist das entschiedene Commitment von Kommunalverwaltung und -politik. Deren Präsenz im Verfahren und der von Anfang an klar kommunizierten und dann auch gelebten Feedbackpolitik.

Die steht eben auch dann, wenn die Mehrheit der Ideen nicht realisiert werden kann. Sie versteht ein „Das klappt leider nicht!“ nicht als Scheitern, sondern als Einlösung von Versprechen. Das ist mutig.

Aber richtig. Und auf Dauer erfolgreich. In Köln wird eine wichtige Erkenntnis gelebt:

Wenn Ergebnisse von Beteiligung nicht umgesetzt werden, ist das nicht automatisch ein Problem.

Wenn Ergebnisse von Beteiligung umgesetzt werden, ist das nicht automatisch Erfolg.

Es ist das Feedback, das entscheidet. Denn Gute Beteiligung ist Dialog mit Wirkungsanspruch. Nicht mit Wirkungsgarantie.

Aber mit Rückmeldegarantie.

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3 Kommentare
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Wolfgang goede
27. Juli 2023 23:11

Danke Jörg! Ghosting und kein Echo kriegen — ein zunehmendes Problem. „Das klappt leider nicht“ ist besser als Schweigen. Aber hier fehlt die Kausalität. WARUM? Wie formuliere ich die Ablehnung, kurz, treffend, verbindlich? Zu aufwändig, wir wollen keinen verletzten, aber auch keine weitere Diskussion mehr, Pro-Argumente … Vielleicht klappte es ja doch –

Susanne C.
4. August 2023 7:35

Puh..ganz ehrlich…wer bereits geghostet wurde, würde dies niemals auf Beteiligungsprozesse übertragen. Wie Ihr doch selber schreibt, ist Ghosting in der Regel sehr persönlich, zuweilen traumatisch und hat Konsequenzen. Ist es nicht möglich hier ein anderes Wording zu benutzen?

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