Ausgabe #227 | 9. Mai 2024
Wieso, weshalb, warum?
„Warum ist das Gras eigentlich grün?“, lautet eine typische Frage, mit der die Kleinen gern die Großen nerven.
Eine andere Methode: „Warum?“. Und auf die Erklärung dann das nächste „Warum?“. Und wieder. Und wieder.
Generationen gestresster Eltern kennen das. Doch eine Annahme geht fehl: Auch wenn der Nachwuchs nervt, das ist in der Regel nicht sein Ziel.
Tatsächlich wollen Kinder verstehen. Und deshalb Dinge, Prozesse aber auch Verhalten erklärt bekommen. Eine kluge Pädagogin hat einmal gesagt, das wichtigste und zugleich am meisten unterschätzte Wort in der Bildung ist „weil“.
Mit „weil“ fangen Erklärungen an. Aber auch Wertschätzung. Denn wenn sich jemand die Mühe macht, eine Erklärung für mich zu formulieren, zeigt schon das alleine: Ich bin es ihm oder ihr wert.
Kinder lieben das Wort „weil“ und das gilt auch für Erwachsene. „Weil“ ist sogar ein magisches Wort. So magisch, dass das, was danach kommt, oft gar nicht mehr wichtig ist.
Wie gut das funktioniert, zeigte schon im Jahr 1977 die Harvard-Psychologin Ellen Langer.
Ihr Versuch fand an einem Kopierer in der Bibliothek statt. Dort standen damals immer lange Schlangen von Menschen, die einige Seiten kopieren wollten.
Das Warten konnte schon mal eine halbe Stunde oder länger dauern. Entsprechend genervt waren die Wartenden.
Unsere Testperson versuchte nun, sich immer wieder vorzudrängeln.
Das tat sie immer freundlich. Immer mit einer Frage. Allerdings mit drei verschiedenen Varianten:
- Version (Frage ohne Begründung): „Entschuldige, ich habe hier fünf Seiten zu kopieren. Kann ich bitte vor?“
- Version (Frage mit echter Begründung): „Entschuldige, ich habe hier fünf Seiten zu kopieren. Kann ich bitte vor, weil ich’s eilig habe?“
- Version (Frage mit Fake-Begründung): „Entschuldige, ich habe hier fünf Seiten zu kopieren, kann ich bitte vor, weil ich kopieren möchte?“
Verblüffend waren die Ergebnisse: Rund 60 Prozent, also mehr als die Hälfte, ließen die Forscherin vor, wenn sie keine Begründung lieferte.
Bei einer echten Begründung stieg die Quote auf 94 Prozent.
Die wirkliche Überraschung aber: Auch bei einer Fake-Begründung ließen sie 93 Prozent der Menschen vor.
Die Leute taten ihr den Gefallen also deutlich häufiger, wenn es einen Grund gab.
Ob der Grund nachvollziehbar war oder total unsinnig, spielte so gut wie keine Rolle. Das zeigt die beinahe unsinnig anmutende tautologische Begründung bei der dritten Frage.
Bekannt wurde die „Copy Machine Study“, weil sie die fantastische Wirkung des Wortes „weil“ offenlegte.
Sie wurde mehrfach wiederholt, auch an Supermarkt-Kassen. Die Quoten schwankten dabei.
Immer aber erhöhte sich der Erfolg signifikant, wenn es eine Begründung gab, nahezu unbeeinflusst von deren Qualität.
Begründung zeigt Wertschätzung. Und danach dürsten wir alle. Das ist einer der Gründe, weswegen wir in der demokratischen Teilhabe das Prinzip „do or explain“ einhalten sollten. Immer.
Worum geht es dabei?
Gute Bürgerbeteiligung ist Dialog mit Wirkungsanspruch. Nicht mit Wirkungsgarantie. Aber mit Anspruch.
Aus diesem Anspruch folgt das Recht der Beteiligten, im Anschluss zu erfahren, welche Wirkung ihr Einsatz von Zeit, Emotionen und oft auch Frustrationstoleranz letztlich gehabt hat.
Das Prinzip selbst ist in der deutschen Beteiligung noch gar nicht so alt. Lange Zeit lag der Fokus mehr auf „gut, dass wir drüber gesprochen haben“.
Erst mit dem deutlichen Anstieg der Beteiligung wurde die Rückmeldung zu deren Wirkung ein Thema. Immer öfter tauchten Menschen mehr als einmal in Beteiligungsformaten auf. Und immer öfter wurde Skepsis artikuliert.
Bevor Beteiligte sich ein zweites oder drittes Mal engagiert einem Prozess zuwenden, formulieren sie verständlicherweise die Frage, was denn beim letzten Mal wirklich rausgekommen ist.
So fand das Konzept der Rückmeldung nach und nach seinen Eingang in die modernen Beteiligungsstandards. Dynamik kam dabei erst vor rund zehn Jahren auf.
In einer der ersten deutschen kommunalen Beteiligungsleitlinien der Stadt Heidelberg hieß es 2012:
„Zentral für die Verbindlichkeit ist nicht nur die Einhaltung von Regeln, sondern auch, dass die Beteiligungsergebnisse im abschließenden Entscheidungsprozess nachvollziehbar berücksichtigt werden, auch wenn sie für die jeweiligen Entscheidungsträger nicht bindend sind.“
Noch klarer forderte im selben Jahr die Stiftung Zukunft Berlin:
„Es muss festgelegt werden, wie die Bürger, wenn das Vorhaben zu einer Entscheidung gebracht worden ist, auch nachträglich einbezogen bleiben. Mindestens sollten die Entscheider über den Entscheidungsprozess Rechenschaft ablegen.“
Ein Jahr später tauchte das Konzept dann in den Qualitätskriterien Bürgerbeteiligung des Netzwerks Bürgerbeteiligung auf, noch einmal mit gestiegener Verbindlichkeit:
„Der Übergang der Ergebnisse in den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozess muss bereits zu Beginn eines Beteiligungsverfahrens festgelegt und zwischen den beteiligten Akteuren gemeinsam verbindlich vereinbart werden.“
Final als „do or explain“ wurde es 2017 dann in den Grundsätzen für die Qualität von Bürgerbeteiligung der Allianz Vielfältige Demokratie formuliert – die heute als Grundlage für viele Prozesse, Leitlinien, Evaluationen und die einzige bundesdeutsche Auszeichnung dienen:
„Die Entscheidungsträger legen gegenüber den Beteiligten und der Öffentlichkeit Rechenschaft darüber ab, ob und wie die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses in die Umsetzung des Projektes einfließen. Falls sie bei ihren Beschlüssen von den Ergebnissen des Beteiligungsprozesses abweichen, informieren sie über die Gründe hierfür.“
Klingt gut? Fragt sich nur, wie es umgesetzt wird?
Wie immer in der Beteiligungspraxis: sehr unterschiedlich.
Die Stadt Potsdam zum Beispiel veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Broschüre „Mitreden zeigt Wirkung“ mit 20 Beispielen für die Umsetzung von Beteiligungsergebnissen aus den bisherigen Bürgerhaushalten und Bürgerbudgets. Die ist nicht nur optisch gut gemacht, sondern auch inhaltlich klar.
Besonders engagiert erfolgt die Berichterstattung im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Der Landkreis publiziert jährlich sowohl einen Beteiligungsbericht als auch ein Beteiligungskataster. Das Kataster dokumentiert akribisch alle Beteiligungsprozesse und -formate. Der Bericht schildert alle größeren Prozesse im Verlauf – und in der Ergebnisrezeption.
In Erfurt gehen sie einen ganz anderen Weg. Dort wird im Haushaltsplan der Stadt jeweils genau dokumentiert, ob eine Maßnahme ein Ergebnis der Bürgerbeteiligung ist oder durch diese maßgeblich geprägt wurde.
Die Stadt Köln hat in einem Jugendbeteiligungsprojekt eine besonders pfiffige Umsetzung gewählt.
Im Rahmen des Projektes „Hey Köln“ werden Kinder und Jugendliche mit einer digitalen Karte ihres Viertels versorgt. Sie können darin spontan dokumentieren, wo es ihnen besonders gut gefiel oder wo sie sich Veränderungen wünschen.
Die Ergebnisse werden in einer Kinder- und Jugendkonferenz gemeinsam gesichtet – mit Kommunalpolitiker*innen und Mitarbeitenden der Verwaltung.
Und dann haben Ämter und Politik genau 100 Tage Zeit zu liefern – oder zu erklären.
Auf einer eigenen Webseite sind zu allen Vorschlägen Ergebnisse abrufbar.
So wird gezeigt, was in welcher Weise umgesetzt wurde.
Das sind nur vier unterschiedliche Ansätze. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten. Prinzip dabei ist immer: Klar zu sagen, was umgesetzt wurde. Und was nicht.
Und wenn nicht, dann kommt das Zauberwort ins Spiel: „weil“.
Weil es Wertschätzung ausdrückt. Weil es Anerkennung dokumentiert. Weil es die Leistung von Beteiligung nachweist. Weil es die Erwartungen der Beteiligten reflektiert. Weil es Sachlichkeit und Transparenz fördert.
Weil es richtig ist.
Und deshalb wichtig.