Ausgabe #248 | 3. Oktober 2024
Der Kaplan und das Geld
Bürgerbeteiligung ist eine tolle Sache.
Intensive Debatten, wertschätzender Austausch, kreative Ideen, bewältigte Konflikte ¬– wenn es gut läuft, kann Beteiligung eine Menge Vorteile bringen. Das gilt für die Beteiligten ebenso wie für das konkrete Vorhaben, das im Mittelpunkt steht.
Und ganz nebenher stärken wir auch noch die Demokratie.
Theoretisch.
Die Praxis kann auch anders aussehen. Quälend lange Prozesse, nervige Debatten, eskalierender Streit – auch das kennen wir aus der Beteiligung.
Welche Faktoren positiv auf Beteiligung wirken können, wird oft diskutiert. Über eine Sache wird allerdings selten ernsthaft gesprochen:
Über Geld.
Was kostet gute Bürgerbeteiligung?
Viel? Wenig? Gar nichts?
Alle drei Antworten können zutreffen.
Ein befreundeter Bürgermeister beteiligt regelmäßig in seiner kleinen schwäbischen Kommune. Auf die Frage, wie hoch das Budget in seinem Haushalt dafür ist, antwortete er:
Gibt’s nicht.
Warum? Weil er es unkompliziert macht: Einladung im Gemeindeblatt, Sitzungsraum im Rathaus, er selbst leitet den Austausch.
Für ihn passt das. Für seine Einwohner*innen offensichtlich auch. Erst kürzlich wurde er mit einem überragenden Ergebnis wiedergewählt.
Doch es gibt ganz andere Summen.
14.000,- Euro kostete der Bürgerrat Ernährung ungefähr. Pro Bürger. Über zwei Millionen Euro waren es nach Schätzungen von Journalisten. Die genauen Zahlen wurden bislang nicht veröffentlicht.
Der Berliner Senat stellt seinen bezirklichen Räumen für Beteiligung jeweils rund 250.000,- Euro im Jahr zur Verfügung
Ist das Geld gut angelegt?
Die zwei Millionen für einen Bürgerrat? Die Viertelmillion für Lichtenberg, Pankow oder Neukölln? Die 2.000,- Euro, die Vereine in Baden-Württemberg als Zuschuss für eigene Beteiligungsprojekte bekommen können?
Offensichtlich gibt es in Deutschland nicht nur vielfältige Beteiligung, sondern auch eine große Preisspanne.
Wir kennen Premiumpreise und Discount-Kalkulationen. Aber entspricht die Qualität der Produkte auch der Höhe der Kosten?
Nicht unbedingt.
Und sicher nicht immer. Das Berlin Institut für Partizipation prüft bei seinen Evaluationen kommunaler Beteiligungskultur immer auch das Budget, das jährlich pro Einwohner zur Verfügung steht.
Je nach Größe sind ca. 5,- Euro pro Einwohner und Jahr ein verlässlicher Indikator für ernsthafte Beteiligung.
Aber eben nur ein Indikator von insgesamt 84, die in die Evaluation einfließen.
Im Nachhinein lässt sich bei Evaluationen dieser Qualität durchaus einschätzen, ob Kosten und Qualität in einem gesunden Verhältnis stehen.
Aber eben erst Monate, manchmal Jahre später.
Diese Herausforderung ist nicht neu. Auch nicht für die Wirtschaft.
Gerade für Unternehmen ist es nicht nur wichtig, die Kosten im Griff zu haben – sondern auch die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen.
Schon mehr als ein Unternehmen ist gescheitert, weil es fantastische Produkte herstellte, aber noch mehr Aufwand dafür hatte, als es damit einspielte.
Aber auch das umgekehrte Beispiel kennen wir: Ein solides Unternehmen will den Gewinn erhöhen und spart deshalb Kosten ein. Darunter leiden Produktqualität und Motivation der Belegschaft. Am Ende hat es sich kaputtgespart.
Nun ist Bürgerbeteiligung kein Produkt. Und zumindest im kommunalen Raum auch nicht mit Gewinnerzielungsabsicht belegt.
Aber dennoch wäre es schön, zu wissen, ob sich die Investition lohnt. Und wie sich die Qualität im Verhältnis zu den Kosten entwickelt.
Und da kommt ein Mensch ins Spiel, der einen sehr christlich klingenden Namen trägt: Robert S. Kaplan ist ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler. Er lehrt seit 1984 an der Harvard Business School und wird in Managementkreisen sehr verehrt.
Dabei hat er ein ganz und gar unchristliches Verhältnis zu Geld – und Gier. In einem Interview sagte er einmal:
„Der Kapitalismus funktioniert nicht, weil die Menschen heilig sind, sondern weil sie gierig sind. Wer eigennützig handelt, kreiert Werte für alle.“
Wie also kann ein Mensch, der Gier eine Art Gemeinwohlimpuls zubilligt, uns bei der Bewertung von Bürgerbeteiligung helfen?
Weil er etwas entwickelt hat, das Unternehmen hilft, strategische Ziele messbar zu machen – jenseits von Dollar und Cent.
Das Tool heißt Balanced Scorecard (BSC). Und das Konzept ist keine Raketenwissenschaft.
Robert S. Kaplan und sein Partner David P. Norton, haben ein Modell mit vier Perspektiven entwickelt, mit dem es möglich ist, ein ausgewogenes Ziele- und Kennzahlensystem aufzustellen: So sind Ziele und Kennzahlen „Balanced“.
Zu der finanziellen Perspektive kommt noch die Kundenperspektive hinzu. Dazu die Prozessperspektive und schließlich die Lernperspektive.
Übersetzen wir jetzt „Kunden“ mit Bürger oder Einwohner, dann ahnen wir schon, wie nützlich das Tool eben auch für das Qualitätsmanagement in der Beteiligung sein kann.
Der Vorteil einer Scorecard ist, dass sie verhältnismäßig wenige Kennzahlen misst, sie aber in einen Kontext bringt und zugleich auch für Nicht-Experten verständlich ist.
Die Finanzperspektive in der unternehmerischen Scorecard misst klassische Kennzahlen vor allem für Anteilseigner: Rendite, Gewinn, Umsatz.
In der Beteiligung interessieren uns Kostenentwicklungen im Verhältnis zu Einwohner*innen, Beteiligten, Vorhabenvolumen.
Die unternehmerische Kundenperspektive wirft den Blick auf Kundenzufriedenheit, Wiederkaufsrate oder Kundenbeschwerden.
Die Bürgerperspektive fokussiert auf die Zufriedenheit der unmittelbar Beteiligten, die Wirkung auf Konflikte, die Wahrnehmung in der Einwohnerschaft.
Die Prozessperspektive in Unternehmen beleuchtet, wie gut oder schlecht interne Prozesse bezüglich Zeit, Qualität oder Kosten ablaufen. Beispiele sind: Durchlaufzeiten, Nacharbeitsquote, Logistikkosten.
In der Beteiligung betrachtet sie die Dauer der Verfahren, die Qualität der Durchführung und vor allem der Ergebnisse.
Die Lernperspektive in der Wirtschaft schließlich beinhaltet Ziele und Kennzahlen, die zeigen, wie sehr das Unternehmen auf die zukünftigen Entwicklungen ausgerichtet ist. Hier geht es um Produktinnovationen oder Mitarbeiterqualifikation.
In der Beteiligung steht die Rezeption der Ergebnisse im Fokus. Was kommt in den Entscheidungsprozessen an. In welchem Umfang wird es berücksichtigt? Aber auch: Wie lernen wir, immer besser zu werden?
Die Balanced Scorecard in Unternehmen ist ein Echtzeit-Tool. Quasi eine Sammlung von vier Cockpit-Instrumenten in einem Flugzeug.
Die Schlagzahl in der Beteiligung ist nicht ganz so hoch. Aber die Kennzahlen sind dazu geeignet, sie einmal im Quartal, mindestens aber einmal im Jahr zu ermitteln – und auf dieser Grundlage nachzusteuern.
Das kann eine Evaluation nicht ersetzen, ist aber eine intelligente Grundlage für ein leistbares Qualitätsmanagement.
Und Qualität ist das, was in der Beteiligung im Fokus steht.
Geld gehört auch dazu.
Aber eben nur als ein Baustein unter vielen.