#254 | Showdown in Silverton

In den USA ist die Gesellschaft tief gespalten. Doch auch dort gibt es partizipative Antworten.

Ausgabe #254 | 14. November 2024

Showdown in Silverton

Tief in den Rocky Mountains liegt der ehemalige Goldgräberort Silverton.

Er ist bis heute nur über eine einzige Straße erreichbar. Ein paar Häuserblocks. Wenige Menschen. Viel Landschaft.

Ein verschlafenes Nest.

Bis eines Tages eine Welle nationaler Empörung über das beschauliche Städtchen hereinbrach.

Der Auslöser war eine Lappalie. Für einige. Für andere nicht.

In vielen amerikanischen Städten ist es Tradition, die Sitzung des Gemeinderates mit einem traditionellen Fahneneid zu beginnen.

Das finden nicht alle gut. Insbesondere die Erwartung an die Anwesenden, aufzustehen, um dem Sternenbanner seine Ehre zu erweisen, störte einige.

Kurzerhand schaffte der damalige demokratische Bürgermeister Shane Fuhrman diese Pflicht ab.

Dann ging es los.

Ein Video der Sitzung wurde an die Fox News und die New York Post weitergeleitet. Beide gehören dem ultrakonservativen Medienmogul Rupert Murdoch.

Prompt lud der Trump-Sender drei Ratsmitglieder ein, die den Fahneneid verteidigten, der Moderator stellte sie als „Proud Americans“ vor.

Die republikanische Kongressabgeordnete Lauren Boebert, in deren Wahlkreis Silverton liegt, nannte das „Verbot“ des Eids eine „antiamerikanische Schande“.

Die Befürworter der Abschaffung wurden drangsaliert, beschimpft, erhielten Morddrohungen.

Jordan Bierma, Lehrer in Silverton, musste die Stadt auf Anraten des Sheriffs für längere Zeit sogar verlassen.

Gegen ihn und andere Ratsmitglieder wurde eine Abwahlinitiative gestartet. Sie scheiterte, sorgte aber für weitere Eskalation.

Soweit erstmal eine in der Ära Trump gar nicht so seltene Geschichte. So, wie wir auch in Deutschland zunehmend von Rechtsaußen künstlich angeheizte Kulturkämpfe erleben.

In Silverton allerdings taten sie das, was wir in Sachen USA so gar nicht auf dem Schirm haben:

Sie starteten einen Beteiligungsprozess.

In Kooperation mit einer NGO, den „Community Builders“.

Der gelang es tatsächlich, alle Fraktionen zu Workshops, gemeinsamen Essen und Spaziergängen, genannt („Walkshops“), zusammenzuholen.

Dabei stand gar nicht so sehr der Fahnen-Konflikt im Vordergrund. Stattdessen versuchte man, gemeinsam eine Perspektive für Silverton zu entwickeln.

Wie kann die Infrastruktur ausgebaut werden? Welche Art von Neubauten will man erlauben? Soll es Sozialwohnungen geben, und wenn ja, wo? Und wie soll man alles bezahlen?

Das alles waren Fragen, auf die die Beteiligten gemeinsame Antworten uchten.

Es dauerte eine Weile, aber am Ende nahm fast die Hälfte der Einwohner*innen teil.

Konfliktfrei ging das nicht. Aufgrund der Vorgeschichte schickte sogar die renommierte New York Times einen Reporter, der über den Prozess berichtete.

Der machte daraus eine Geschichte über den Zusammenprall von Gebildeten und Ungebildeten. Was im Grunde eine gute Nachricht war. Denn in vielen Fällen, gelingt es erst gar nicht, eine solche Breite in die Beteiligung zu holen.

Die Menschen in Silverton hat diese Berichterstattung sogar eher geeint.

Ihr Zukunftskonzept kann sich sehen lassen.

Tatsächlich ist der Prozess, den sie in Silverton durchlaufen haben, nicht so einzigartig, wie man meinen könnte.

In den USA wird durchaus umfangreich beteiligt, häufig initiiert von NGOs, oft auch als Auftragspartner von Kommunen.

Die Akteure dort haben viel Erfahrung mit breiter Beteiligung. Schon lange müssen sie sehr unterschiedliche Milieus und Kulturen zusammenbringen, wenn sie Erfolg haben wollen.

Herausfordernd sind diese Prozesse gerade dann, wenn es gelingt, diese Beteiligungsbreite zu erreichen.

So haben sich mit den „Walkshops“ und gemeinsamen Kochaktionen einige Formate entwickelt, die konfrontative Settings vermeiden und gemeinsames Tun in den Vordergrund stellen.

Das allein wird das nach wie vor zerrissene Land nicht dauerhaft einen können. Doch die amerikanische Breite Beteiligung als Graswurzelprojekt kann uns inspirieren.

Egal, ob Formate, Themen, Haltung oder Formen der Kollaboration zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft: Ein Blick über den großen Teich kann sich lohnen.

Ganz besonders im Hinblick auf die Organisation von Dialogen zwischen Menschen, die sich sonst nichts zu sagen hätten.

Davon braucht es mehr.

In den USA.

Ganz sicher aber auch bei uns.

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