#287 | Als Pril nach Hähnchen schmecken sollte

Wenn Beteiligungsangebote so richtig schief gehen, wurde meist eine bestimmte Sache vergessen.

Ausgabe #287 | 3. Juli 2025

Als Pril nach Hähnchen schmecken sollte

Peter Breuer hieß der Mann, der das Management des Henkel-Konzerns in die Verzweiflung trieb. 2011 hatten die bei Henkel nämlich eine tolle Idee. Sie wollten dem bekannten Spülmittel Pril einen neuen Look verleihen. Und dabei natürlich gehörig Aufmerksamkeit generieren.

Ihre Idee: Co-Creation.

Nutzer*innen konnten auf einer Online-Plattform neue Designs vorschlagen. Und alle konnten abstimmen. Das führte zu über 50.000 Einsendungen. Einige davon wurden abgelehnt, u. a. wegen „sexuell expliziter“ Inhalte. Ein davon Betroffener beschwerte sich bei Twitter (so hieß X damals noch).

Das las der Werbetexter Peter Breuer. Er besuchte daraufhin die Seite mein.pril.de. Die Aktion fand er witzig. Und generierte spontan einen Vorschlag. „Ich hatte kein Ziel. Die zweiminütige Albernheit war der Stein, den ich ins Wasser geworfen habe“, sagte er später gegenüber der Presse. Er kritzelte ein kaum erkennbares Hähnchen und schrieb in krakeliger Schrift darunter:

„Schmeckt lecker nach Brathähnchen!“.

Breuer fand es komisch. Die Besucher der Seite offensichtlich auch. Die Community votete dieses und andere Motive ganz ohne Frühlingsduft und Schmetterlingsprints nach oben.

Schließlich war das Brathähnchen-Pril deutlicher Spitzenreiter, vor einigen anderen vergleichbar schrägen Einsendungen.

Ursprünglich hatte Henkel versprochen, die vier beliebtesten Vorschläge als zeitlich befristete Edition in den Handel zu bringen. Jetzt aber bekam man kalte Füße.

Also verschärfte man die Spielregeln.

Künftig mussten die Motive vom Pril-Team freigegeben werden, bevor sie beurteilt werden konnten. Gleichzeitig wurden die bereits abgegebenen Stimmen „bereinigt“ – angeblich, weil sie manipuliert waren.

Plötzlich sah die Rangliste, bei der das Hähnchendesign geführt hatte, vollkommen anders aus. Und dann begann der Shitstorm.

Die Henkel-Accounts auf Facebook und Twitter wurden von Tausenden negativen Kommentaren geflutet. Henkel wiederum löschte einige der Kommentare. Das Ganze wurde schließlich zu einem einzigen PR-Desaster.

Eine ähnliche Erfahrung machte die Stadt Schwäbisch Gmünd. Dort sollte in einem Online-Verfahren der Name für einen neuen Tunnel gefunden werden.

Deutlicher Sieger des Votings: Der Bud-Spencer-Tunnel.

Es kostete viel Mühe, diesen Namen wieder auszubremsen. Bud Spencer persönlich wurde sogar involviert. Am Ende bekam der Tunnel einen anderen Namen. Die Empörung der Menschen wurde eingefangen, indem das Gmünder Freibad den Namen „Bud-Spencer-Bad“ erhielt – und bis heute trägt.

Diese Art von Bürgerbeteiligung ist auch in anderen Kommunen mehrfach gescheitert. Und wir können etwa daraus lernen.

Wir definieren Beteiligung als Dialog mit Wirkungsanspruch. Den Wirkungsanspruch hatten wir in beiden Beispielen. In beiden Beispielen wurde die versprochene Wirkung dann im Prozess wieder kassiert. Das ist gefährlich. Meist zerlegt das die Prozesse. Wie bei Henkel. Oder es ist nur mit großem Aufwand wieder halbwegs einzufangen. Wie in Schwäbisch Gmünd.

In Aussicht gestellte Wirkungsmöglichkeiten müssen Bestand haben. Um so wichtiger ist es, sich vorher genau zu überlegen, mit welchen Ergebnissen man am Ende leben könnte.

„Ergebnisoffen“ heißt eben auch: offen für ungeplante, unerwartete, unerwünschte Ergebnisse.

Gibt es diese unendliche Offenheit nicht, sollte sie weder prozessual noch kommunikativ versprochen werden. Das ist die eine Lehre aus den Beispielen. Die zweite: Dialog ist der Schlüssel.

Ohne Dialog ist es irgendetwas, aber keine Beteiligung. Neben repräsentativer und direktdemokratischer Säule der Demokratie, ist die verhältnismäßig junge Säule eben die dialogische. Sie ist jene, in der wir dialogische Beteiligungsprozesse organisieren.

Unsere Beispiele waren in beiden Fällen eine Mischung aus Co-Creation und (scheinbarer) Direktdemokratie. Vor allem: dialogfrei.

Wir hören auch in vielen dialogischen Beteiligungsformaten Vorschläge auf dem Niveau von Bud-Spencer-Tunnel und Hähnchen-Pril. Und noch Schlimmeres.

Doch dort finden Dialoge statt. Wir betrachten, begutachten, prüfen und diskutieren. Wir argumentieren, streiten sogar. Und dabei qualifizieren wir Ideen und Vorschläge mit den Beteiligten, oft auch unter Hinzuziehung von Expert*innen.

Das führt nicht immer zu perfekten Ergebnissen, nicht einmal immer zu gemeinsamen Ergebnissen.

Aber in gute Prozesse eingebettet, nie zu Pleiten auf Henkel-Niveau.

Gute Beteiligung ist nicht dialogfrei. Niemals.

Es gibt noch viele andere Faktoren, die einen Einfluss auf die Qualität von Beteiligung haben, aber wenn es nur einen Satz gibt, der Platz auf dem Plakat über unserem Schreibtisch hat, dann dieser:

Dialog ist der Schlüssel.

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