Ausgabe #310 | 11. Dezember 2025
Männer auf dem Podium
Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Bei uns im Berlin Institut für Partizipation schauen wir im Dezember traditionell ein wenig zurück auf die Veranstaltungen, die wir organisiert und an denen wir mitgewirkt haben.
Dabei ist uns in diesem Jahr aufgefallen: Ein bestimmtes Format scheint eine Renaissance zu erleben:
Die Podiumsdiskussion.
Insgesamt bin ich in diesem Jahr auf knapp 50 Podien gesessen. Mal mit vorheriger Keynote, mal ohne. Mal vor 1.200 Gästen, mal vor 18.
In über 90 % der Fälle waren die Männer in der Mehrheit, in fast der Hälfte waren sie unter sich.
Im Jahr 2025 löst das ein doppeltes Nachdenken aus.
Wie kommt es, dass in einer Branche wie der politischen Teilhabe, in der nachweislich deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten, bei Podiumsbesetzungen doch immer wieder Männer dominieren?
Und wie kommt es, dass uns dann, wenn wir über Demokratie und Beteiligung sprechen wollen, immer wieder ein Format attraktiv erscheint, dass maximal beteiligungsfrei ist?
Die Gender-Frage hat etwas mit gesamtgesellschaftlichen Trends und mit Haltung zu tun, aber auch mit dem Format. Denn Podien werden gerne mit Prominenz besetzt. Mit Menschen, die für eine bestimmte Expertise und/oder Haltung stehen, fast immer ausschließlich mit Akademikern, gelegentlich auch mit Politikern.
Wer da einen Namen hat, hat ihn aufgrund medialer Präsenz. Und da wissen wir ebenfalls: Die Männer dominieren.
Es ist also auch eine Frage des Formats. Wer sich für ein Podium entscheidet, hat es schwer, Alternativen zu männlichen Experten zu finden. Das geht, aber es ist herausfordernd.
Und selbst, wenn es gelingt: Es bleibt ein Format, das zum gelebten Widerspruch wird, wenn wir über Teilhabe, Selbstwirksamkeit, Dialoggestaltung, Demokratie reden.
Diese Themen sollten wir miteinander verhandeln, nicht voreinander.
Eine (empirisch nicht wirklich repräsentative) Nachfrage bei diversen Veranstaltern hat ergeben, dass über das Format in der Planungsphase erstaunlich wenig nachgedacht wird.
„Haben wir schon immer so gemacht“, oder „wurde von der Hausspitze so gewünscht“, lautet regelmäßig die Antwort.
Teilweise wurde auch explizit formuliert, dass die Veranstaltung so „besser kontrollierbar“ sei und „Störungen“ leichter unterbunden werden könnten.
Das deckt sich mit der Praxis, solche Podien zwar formell irgendwann auch für die Interaktion mit dem Publikum zu öffnen.
Da gibt es drei Modelle, die allesamt wenig Diskurserlebnis aufkommen lassen:
1. Das Publikum wird erst spät beteiligt, meist in der letzten halben Stunde des Programms.
2. Es werden nur Fragen zugelassen, keine Kommentare. Die werden dann sofort wieder ausführlich und gerne von jedem Podiumsmitglied beantwortet.
3. Mündliche Beiträge werden durch ein digitales Tool ersetzt, so dass die Fragen nur digital eingereicht und dann redaktionell gefiltert werden können.
Gerne werden die Modelle auch kombiniert. Was regelmäßig dazu führt, dass nur einige wenige Gäste inhaltliche Beiträge liefern.
Letztlich sind Podiumsdiskussionen eher die Regel, Beteiligung des Publikums an der Diskussion dabei die Ausnahme.
Das vergibt viele Chancen. Wenn es um Demokratie geht, ist das besonders bedauerlich.
Das sollten wir ändern.
Kommt in der Planung für eine Veranstaltung die Idee eines Podiums auf, sollten wir ernsthaft prüfen, ob wir unter Hunderten von Formaten, die wir aus der Beteiligung kennen, nicht eine gute Alternative finden können.
Auch die Hebung von Expert*innenwissen kennt beteiligungsorientierte Formate: Interviews durch Moderation und Gäste, die „menschliche Bibliothek“, eine echte Fishbowl, die mehr ist als ein leerer Gästestuhl auf dem Podium, die „paradoxe Anhörung“, bei der Gäste reden und Expert*innen zuhören und reagieren sind nur einige Methoden. Es gibt Dutzende weitere.
Alle sind kurzweiliger, bringen mehr Menschen ins Miteinanderreden und Nachdenken und benötigen nicht mehr Ressourcen als das klassische Podium.
Manchmal aber muss es doch ein Podium sein. Weil politisch Verantwortliche das so wollen oder aus anderen Gründen.
Doch auch dann gibt es Möglichkeiten.
Schon vor dem Podium, beim Einchecken oder in den Pausen zuvor können Moderationswände mit Thesen der Podiumsgäste beschriftet werden. Stifte liegen bereit, damit Gäste kommentieren können. Im Idealfall begeben sich die Podiumsmitglieder nach der Debatte noch einmal für 15 bis 30 Minuten zu „ihren“ Moderationswänden, wo sie sich dem Austausch mit den Gästen stellen.
Das Podium selbst kann man einige Male auch für sogenannte „Murmelgruppen“ unterbrechen, in denen die Gäste sich mit ihren Sitznachbarn über das Gehörte austauschen.
Bunte Karten können den Gästen die Chance auf direkte Reaktion geben, die dann von der Moderation aufgegriffen wird. Dabei kann „Orange“ als Signal verstanden werden, dass die Argumentation/Sprache gerade unverständlich ist, Gelb kann bedeuten „Nun sollte es eine Publikumsrunde geben“ und „Grün“ kann heißen, davon wollen wir mehr hören.
Immer wieder kann die Moderation das Publikum darum bitten, kurz pro/contra über eine geäußerte These abzustimmen.
Alle diese Methoden geben Kontrolle ab.
Das müssen wir wissen.
Und wollen.
Doch wenn es um Demokratie und Teilhabe geht, ist völlige Kontrolle ohnehin der grundfalsche Ansatz.
Ein Podium an sich ist noch kein Webfehler. Es gehört aber gut eingebettet in aktivere Formate.
Ein guter Tipp ist es, schon bei der Programmplanung grob zu kalkulieren, wie viele Minuten ein Gast im Schnitt zuhören soll/muss und wie viele Minuten er sprechen darf oder zumindest könnte. Ein Fünftel aktiver Zeit ist das absolute Minimum, ein Drittel gesund, alles darüber ganz wunderbar.
Demokratie braucht Expertise, noch mehr aber Dialog. Und der besteht eben aus Zuhören und Sprechen.
Ein Podium ist dann gut, wenn es das fördert – nicht unterbindet.
Das ist möglich.
Wenn wir wollen.