Ausgabe #17 | 23. April 2020
Sind das wirklich unsere Helden?
Deutschland ist ein Land voller Denkmäler. Wie viele davon es genau gibt, hat niemand gezählt. In fast jedem Ort steht mindestens eines, oft sogar mehrere. Allerdings zeigt ein Blick auf die dort geehrten Persönlichkeiten, dass wir – zumindest im Denkmalbereich – ein ganz erhebliches Demokratieproblem haben.
Denn die übergroße Zahl der deutschen Denkmäler ehrt Kaiser, Könige, Heerführer. Nicht wenige davon waren kaltschnäuzige Massenmörder, Verbrecher, Machtpolitiker, Kolonialisten.
Demokraten waren sie allesamt nicht.
Das Ausmaß dieses für eine Demokratie höchst problematischen Ungleichgewichts ist enorm. Alleine Krieger- und Ehrenmäler gibt es in Deutschland nach Schätzungen an über 100.000 Orten.
Nur selten ist dort von „Opfern“ die Rede, faktisch nie von „Tätern“, sondern zumeist von „Helden“. Gerne wird auch an historische Siege erinnert, selten an die Gräuel der Schlachtfelder.
Auch Kaiser, Könige und ihre treuen Vasallen werden nach wie vor an zigtausenden Stellen in Deutschland geehrt. So listet Wikipedia alleine für Kaiser Wilhelm den I. eine unglaubliche Anzahl von Denkmälern auf, die meisten davon stehen bis heute – für einen Mann, der sich bei der Niederschlagung der ersten deutschen demokratischen Revolution von 1848 den Beinamen „Kartäschenprinz“ erwarb.
Allein diese Figur wird nach Schätzungen von Historikern Deutschland bis heute mit mehr Denkmälern geehrt, als alle Helden der demokratischen Revolution zusammen.
Natürlich ist es keine Überraschung, dass sich die Sieger von historischen Auseinandersetzungen mehr Denkmäler setzen lassen, als sie den Unterlegenen zubilligen. In den Bundesländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gab es bis 1989 eine entsprechende Welle von Denkmälern für Marx, Engels, Lenin und andere kommunistische Helden.
Allerdings kam es nach der Wende in den ostdeutschen Bundesländern zu einer unsystematischen aber deshalb nicht weniger gründlichen „Säuberung“ der sozialistischen Denkmallandschaft.
Das Faszinierende an dem Umgang des demokratischen Deutschlands mit der älteren und jüngeren Denkmalvergangenheit sind drei wesentliche Phänomene:
- Denkmäler für monarchistische und militärische Protagonisten gab und gibt es in unglaublichem Ausmaß. Nur wenige davon wurden wieder abgebaut.
- Denkmäler für faschistische oder kommunistische Persönlichkeiten wurden nach den jeweiligen Epochen weitgehend getilgt.
- Denkmäler für demokratische Helden wurden und werden überaus selten errichtet.
Das mag daran liegen, dass Demokratie und blinde Heldenverehrung nicht wirklich gut zusammenpassen. Doch das wäre als Erklärung etwas zu billig. Schließlich gibt es genug historische demokratische Momente, deren man gedenken könnte (und auch an einzelnen Orten wie zum Beispiel in der Frankfurter Paulskirche gedenkt).
Es bleibt die irritierende Tatsache, dass in einem Land, das seit über 70 Jahren als Demokratie organisiert ist noch immer eine unübersehbare Anzahl an Denkmälern für Werte und Protagonisten mit zutiefst antidemokratischem Hintergrund stehen.
Das ist kein Aufruf zum Denkmalsturm, aber eine Anregung zum Nachdenken darüber, ob wir nicht mehr demokratische Gedenkstätten und weniger wiederaufgebaute Kaiserpaläste wie aktuell in Berlin vertragen könnten.
Und ja, auch die Demokratie braucht ihre Helden. Deshalb lassen Sie mich heute einmal wieder mit einem Lesetipp schließen:
Dieter Thomä
Warum Demokratien Helden brauchen:
Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus
Ullstein, 2019, 237 Seiten
ISBN: 978-3550200335, 20,- EUR
Nach diesem Blick in die Vergangenheit werfen wir in der kommenden Woche einen Blick in die Zukunft: Was macht eigentlich Fridays for Future?
Salopp gesagt: Wenn keine Schule ist, kann man auch nicht streiken. Tatsächlich hat die Bewegung längst das Stadium des reinen Protestes hinter sich gelassen, neue Ideen entwickelt und dabei auch einige interessante partizipative Innovationen hervorgebracht. Doch darüber mehr am kommenden Donnerstag.
Herzlichst, Ihr Jörg Sommer