Ausgabe #73 | 27. Mai 2021
Die Demokratie der Daten
Die neue Ära in der modernen Demokratie begann mit einem Startup.
Die Gründer waren jedoch keine jungen Hipster, sondern gestandene Politstrategen und Wirtschaftsbosse. 15 Millionen Dollar investierte der Hedgefonds-Milliardär 2014 Robert Mercer in das Unternehmen, das maßgeblich von Stephen Bannon, dem Macher hinter der rechtsradikalen Plattform Breitbart News, initiiert wurde.
Der Name „Cambridge Analytica“. Das Ziel: Demokratische Wahlen durch Wählermanipulation zu beeinflussen – mit Hilfe der massenhaften Auswertung von Big Data, also unglaublichen Mengen von personenbezogenen Informationen.
Ein Alptraum für den Datenschutz. Ein Alptraum für die Demokratie. Ein Traum für Donald Trump.
Der überwies 2016 knapp 6 Millionen Dollar an das Unternehmen, das angeblich über 220 Millionen Wählerprofile erstellt hatte. Bis heute konnte nicht abschließend ermittelt werden, wie hoch der Anteil von Cambridge Analytica an Trumps Wahlsieg wirklich ausfiel.
Das Geschäft blühte jedoch. Die Firma mischte auch in Wahlkämpfen in Asien, Afrika und Südamerika mit.
Zwei Jahre später flog die Firma auf, sie hatte sich wohl die meisten Daten illegal beschafft und gegen unzählige Gesetze verstoßen. Zwischenzeitlich ist Cambridge Analytica insolvent, der Skandal noch lange nicht aufgearbeitet, aber eines bleibt:
Die Gewissheit, dass Daten in der Zukunft der Demokratien eine immer wichtigere Rolle spielen werden – egal ob legal oder illegal beschafft oder benutzt:
Die Demokratie der Zukunft ist auch eine Demokratie der Daten.
Umgekehrt gilt: Wer über die Daten herrscht, der hat auch Macht. Häufig mehr Macht, als für die Gesellschaft gut ist. Wer eine stabile Demokratie behalten will, der muss also über die Demokratisierung der Daten nachdenken.
Das ist der Grund, aus dem Aktivist*innen Datentransparenz fordern – und aus dem auch bei uns in Deutschland öffentliche Institutionen mehr und mehr Daten öffentlich zugänglich machen. Open Data steht für die Idee, Daten öffentlich frei verfügbar und nutzbar zu machen. Es geht um eine Demokratisierung des Wissens, um Transparenz, um freien Informationsaustausch.
Das klingt zunächst einmal innovativ und demokratiefördernd, aber ist es das auch?
In unserer Gesellschaft wird Transparenz gerne mit der Zurverfügungstellung von Information verwechselt, Information gerne mit Wissen, Wissen mit Verstehen.
Jede einzelne Verwechslung ist gefährlich. In der Summe kann uns das auf völlig falsche Pfade führen.
Beschränkt sich digitale Transparenz auf die öffentliche Verfügbarkeit von Daten, ist dies zwar grundsätzlich zu begrüßen, nimmt aber in unserer heutigen, datengetriebenen Welt schnell einen Umfang an, der problematisch wird. Denn es bedarf einer Menge Ressourcen, um aus diesen Datenmengen entscheidungsrelevantes Wissen zu beziehen.
Technische Ausstattung, spezifische Kompetenzen, Zeit und Geld sind nötig, um aus Daten echte Information zu generieren.
Das Problem dabei: Exakt jene Gruppen, die ohnehin schon tendenziell als Entscheider*innen in Politik und Verwaltung sowie als Beteiligte überrepräsentiert sind, sind auch jene Gruppen mit dem besten Zugang zu diesen Ressourcen.
Reine Datentransparenz genügt also nicht. Aus Daten muss Information werden. Daten müssen aufbereitet, gewichtet, verdichtet, verglichen werden, damit sie für möglichst viele (potenziell) Beteiligte erkennbar, verstehbar und verwertbar sein können.
Das allerdings bringt neue Herausforderungen.
Zum einen benötigt diese Aufbereitung umfangreiche Ressourcen, zum anderen ist der gesamte Prozess nicht frei von subjektiven Einflüssen. Welche Daten wähle ich aus? Wie bereite ich sie auf? Womit vergleiche ich sie? Welche Zusammenhänge betone ich, welche lasse ich vielleicht weg?
Informationen einfach auf den „virtuellen“ Tisch zu packen, die totale digitale Transparenz herzustellen, nutzt eben auch nichts – oder nur Wenigen.
Digitale Transparenz als Zuverfügungstellung von Daten löst letztlich keines der Probleme, die in Beteiligungsprozessen relevant sind.
Sie nutzt denen, die über die Ressourcen verfügen, um sich für sie relevantes Wissen daraus zu generieren, sie verschärft existierende Ungleichgewichte in den Teilhabechancen.
Sie ist keine Voraussetzung für Gute Beteiligung, sie ist ein Risiko.
Der Umgang mit Nichtwissen ist in einer Demokratie ein ganz entscheidender Resilienz-Faktor. Die Akzeptanz von Nichtwissen bei allen Beteiligten, die Erkenntnis, dass Wissen zwar absolut ist, der Umgang damit jedoch Verhandlungssache, schmerzt nicht nur Wissenschaftler*innen und Philosoph*innen. Sie ist aber Grundlage einer Demokratie – und eine zentrale Grundlage wertschätzender Beteiligungskultur.
Denken wir daran, dass Debatten in Beteiligungsprozessen wissensbasierte Planungen und Entscheidungen ja eben nicht ersetzen, sondern ergänzen sollen. Beteiligungsdebatten sind eben immer Debatten mit weniger Wissenden. Das wertet den Dialog keinesfalls ab.
Da wir alle in einer Welt leben, deren Wissen wir unmöglich vollständig erfassen können, hat derjenige, der mehr weiß, nicht automatisch recht. Er hat allenfalls bessere Durchsetzungschancen.
Auf jeden Fall hat er die Chance, seine wissensbasierten Überlegungen einem Diskurs auszusetzen, der nach anderen Kriterien verläuft: Er basiert weniger auf Wissen, eher auf subjektiven Interessen, idealerweise auf Ethik, oft auch auf Phantasie.
Das Erstaunliche dabei ist, dass solche Prozesse oft tatsächlich am Ende qualitativ bessere Ergebnisse generieren.
Denn erst wenn Wissen, Ethik und Interessen ausbalanciert werden und die beste Lösung mit einer Prise Phantasie gefunden wurde, dann haben wir Ergebnisse, die nicht nur umsetzbar, sondern auch gesellschaftsfähig sind. Das unterscheidet uns Menschen von Algorithmen.
Und das ist auch gut so.