#270 | Demokratiefreie Räume?

Partizipation kann Demokratie stärken. Warum findet Sie dann in großen Teilen unseres Lebens nicht statt?

Ausgabe #270 | 6. März 2025

Demokratiefreie Räume?

Die Demokratie retten. Drunter geht’s nicht.

Klar. Die Demokratie ist unter Druck. Die Wahlergebnisse autoritärer Parteien in unserem Land sind besorgniserregend. Die Entwicklungen in anderen Ländern oft ähnlich.

Dabei retten wir die Demokratie seit Jahren.

Mit zunehmender Aktivität. Die Trefferzahl des Suchbegriffs „Demokratie retten“ bei Google steigt noch immer rasant, nahezu täglich habe ich Mails von neuen Initiativen und Kampagnen im Postfach.

Seit über zehn Jahren erleben wir zudem einen Trend zu mehr Bürgerbeteiligung. Sie wird umfangreicher, vielfältiger, breiter und manchmal sogar wirksamer.

Immer mehr Menschen arbeiten in diesem Bereich, 2023 hat sich sogar ein eigener Berufsverband gegründet.

Auch die mediale Aufmerksamkeit steigt, ganz besonders für das relativ neue Format der losbasierten Bürgerräte.

Es ist etwas verkürzt, aber man könnet es so formulieren: Wir beteiligen immer mehr – und der Demokratie geht es immer schlechter.

Natürlich ist das keine Kausalkette.

Beteiligung ist nicht die Ursache für die Demokratiemüdigkeit der Menschen. Tatsächlich zeigen Evaluation und Studien, dass die Wirkung eher umgekehrt ist.

Gute Beteiligung stärkt demokratische Grundeinstellungen und Kompetenzen.

Warum geht es unserer Demokratie also dann nicht besser?

Oder anders formuliert: Wie kann Beteiligung der Demokratie wirksamer helfen?

Eine spannende Frage. Über die wir unter anderem am 13. März online diskutieren wollen. Im Rahmen eines digitalen Fishbowl-Formats, zu dem ich Sie ganz herzlich einlade!

Wir werden an diesem Abend sicher spannende Ideen hören – und die Frage dennoch nicht endgültig beantworten können.

Denn sie ist komplex. Und einfache Antworten auf komplexe Herausforderungen gibt es nicht. Es sei denn, man neigt zu Populismus.

Doch ein Pfad ist zumindest erkennbar: Wir beteiligen immer mehr. Beteiligung kann Demokratie stärken. Doch die schwächelt weiter, also …

… beteiligen wir möglicherweise noch nicht genug.

Der Deutsche Bundestag hat bislang zwei Bürgerräte durchgeführt. Etwas über 300 Bürger*innen wurden gelost. Die positive Wirkung auf die meisten Beteiligten ist unbestritten.

Doch wollen wir jedem Menschen in unserem Land eine Demokratieerfahrung dieser Qualität ermöglichen, dann bräuchten wir mehr davon, und zwar rund eine halbe Million Bürgerräte.

Ganz zu schweigen von den Kosten: Das klingt nicht so, als würden wir damit in absehbarer Zeit die Demokratie retten können.

Wenn Beteiligungserfahrung demokartiestärkend wirken soll, müssen wir sie massenhaft also anders realisieren. Kommunale Beteiligungsprozesse, vor allem die zunehmende Kinder- und Jugendbeteiligung sind da ein Thema.

Denn tatsächlich brauchen wir nicht ein wenig mehr Beteiligung. Sondern viel mehr. Sehr viel mehr. Unfassbar viel mehr.

So viel mehr, dass wir mit besonderen Maßnahmen außerhalb des alltäglichen Miteinanders am Ende nicht auskommen werden.

Demokratieerfahrung muss zu einer Alltagserfahrung werden.

Und das ist sie bislang nicht.

Auch weil wir große Teile unseres Lebens in weitgehend demokratiefreien Räumen verbringen.

Unser Bildungssystem ist ein solcher Raum, in dem viel mehr möglich und nötig ist, als etwas Institutionslehre im Politikunterricht und eine Klassensprecherwahl pro Schuljahr. Da geht mehr. Und muss mehr gehen.

Mehr gehen muss auch in einem anderen Raum. Dem Raum, indem die meisten Menschen einen großen Teil ihrer wachen Zeit verbringen: Am Arbeitsplatz.

Demokratie im Betrieb klingt für die meisten Menschen merkwürdig, fast absurd.

Nichts ist weiter von Demokratie entfernt als die Organisation unseres Berufslebens. Macht wird nicht von unten nach oben legitimiert, sondern schlicht über Geld von oben nach unten durchorganisiert.

Kein Wunder, dass manche Unternehmer so merkwürdige Vorstellungen von Politik haben, wie ein Elon Musk.

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Nicht wenige Unternehmer in Deutschland haben sich vor der aktuellen Bundestagswahl klar für die Demokratie positioniert.

Das ist stark. Aber ändert wenig daran: Unsere Arbeitswelt ist in weiten Teilen vollständig demokratiebefreit.

Ja, wir haben ein Betriebsverfassungsgesetz, es gibt Betriebsräte. Und die haben durchaus was zu sagen. Dort, wo es sie gibt. Doch ihre Zahl sinkt seit Jahren. Aktuell haben nur noch 7% der Firmen eine Arbeitnehmervertretung.

Die IG Metall spricht deshalb sogar von einer „Erosion der Mitbestimmung„.

Dazu kommt: Ganz ähnlich wie in der Zivilgesellschaft sind Betriebsräte ein Konzept der repräsentativen Demokratie, also der mittelbaren Wirkung. Für die Masse der Beschäftigten konzentriert sich die Demokratieerfahrung auf die Stimmabgabe an der alle vier Jahre stattfindenden Bundestagswahl.

Wichtig.

Aber nicht genug, wie wir gerade lernen.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir zunehmend (wenn auch zögernd) Beteiligungsprozesse in der Arbeitswelt gestalten. Erste Erfahrungen sind positiv. Auch im betrieblichen Raum gibt es Potential für Beteiligung und damit Demokratieerfahrung.

Das Berlin Institut für Partizipation ist in diesem Bereich seit Jahren aktiv, erarbeitet zurzeit u.a. eine Datenbank mit betrieblichen Beteiligungsformaten und hat jetzt ein neues Portal entwickelt.

Der Teilhabeindex (TIX) ist ein gemeinsames Projekt mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Er ermöglicht Beschäftigten anhand eines Online-Fragebogens zu ermitteln, wie es im eigenen Unternehmen mit der Teilhabe aussieht.

Im Fokus steht dabei die verfasste Mitbestimmung über Betriebsrat und gewerkschaftliche Interessenvertretung – aber eben auch eine darüber hinaus gehende Beteiligungskultur.

Der TIX ist erst seit kurzem online, er wird stetig weiterentwickelt, aber schon jetzt sind die ermittelten Daten überaus spannend.

Betriebliche Demokartieerfahrung ist nach wie vor ein Nischenthema. Aber eines, das zunehmend an Dynamik gewinnt.

Und das ist gut so. Denn Bürger- und Betriebsräte sind schwer vergleichbar, haben jedoch drei Gemeinsamkeiten:

  1. Sie sind wichtig.
  2. Es gibt zu wenig davon.
  3. Sie alleine können die Demokratieerfahrungen, die wir benötigen, nicht liefern.

Eine starke Demokratie braucht mehr. Mehr Teilhabe für mehr Menschen in mehr Bereichen.

Sie muss eine partizipative Demokratie sein.

Der Weg dahin ist anspruchsvoll, aber er ist möglich.

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