#188 | Fluch der Karibik

„Parley!“ war im Piratenleben der Auftakt zu Verhandlungen. Genau so heißt auch ein Format in der Beteiligung.

Ausgabe #188 | 10. August 2023

Fluch der Karibik

Nahezu jeder kennt Jack Sparrow. Pardon. KÄPT’N Jack Sparrow.

Der ebenso furcht- wie glücklose Pirat und Kapitän der Black Pearl ist Hauptfigur in „Fluch der Karibik“.

Eine ganze Serie von Kinofilmen der Wald Disney Corporation verulkt und verklärt das Leben der karibischen Piraten.

Während nur wenige Piraten jemals wirklich vermögend wurden und die meisten Krankheiten, Gefechten oder Galgen zum Opfer fielen, hat Disney mit den Filmen, Computerspielen und Lizenzprodukten weltweit über 10 Milliarden Dollar umgesetzt.

Piraten lohnen sich.

An den Kinokassen. Und ein klein wenig auch in der Partizipation, wie wir in der vergangenen Woche gesehen haben.

Piraten waren tatsächlich meist erstaunlich demokratisch organisiert, ja sogar basisdemokratisch – ganz anders als die Nationen, die sie jagten. Und manchmal auch benutzten. Diese waren in der Regel Monarchien, ziemlich absolutistische noch dazu.

Man musste schon Pirat sein, um seinen Kapitän wählen zu können.

Piraten hatten sogar eine Art Verfassung, den Kodex.

Die Nahmen dafür variierten. Sie waren bekannt unter Namen wie Chasse-Partie, Charter Party, Custom of the Coast, oder Jamaica Discipline.

Jedes Mitglied der Besatzung musste die Regeln unterzeichnen. Das berechtigte ihn dazu, die Offiziere zu wählen und sicherte ihm einen Anteil an der Beute.

Die Regeln wurden an einer gut einsehbaren Stelle (oft der Tür der Kajüte) aufgehängt. Und sie galten für alle, auch den Kapitän.

Es waren verrückte Zeiten, in denen nahezu alle Staaten irgendwie Diktaturen waren – und die Verbrecher irgendwie Demokraten.

Die Piraten haben uns noch mehr hinterlassen, was wir heute in dialogischen Prozessen nutzen.

Da ist zum Beispiel ein Wort, dass in den Disney-Filmen immer wieder vorkommt. Meist dann, wenn es so richtig zur Sache geht:

„Parley!“

Parley stammt vom französischen parler für „sprechen, reden“. Rief eine der Konfliktparteien „Parley!“ oder hisste sie eine schwarze Flagge, war es üblich, dass sich die Gegenseite auf Verhandlungen einließ.

Solange verhandelt wurde, schwiegen die Waffen.

In Fluch der Karibik ruft gefühlt ständig irgendjemand „Parley!“ Das ist natürlich dramaturgisch übertrieben. Tatsächlich weiß man nicht einmal sicher, ob es unter Piraten wirklich verbreitet war.

Allerdings wurde der Begriff tatsächlich genutzt, um offizielle Verhandlungen zwischen staatlichen Kriegsparteien zu bezeichnen.

Sogar in Shakespeares Julius Cäsar kommt er vor.

Und was ist nun mit „Parley!“ in der Partizipation?

Gerade bei einer konfliktgeprägten Beteiligung kann dieses Format in unterschiedlichen Methoden ergänzend hinzugezogen werden.

Sobald ein Teilnehmer bzw. eine Teilnehmerin eine Chance sieht, in einem direkten Dialog ein Problem zu lösen, kann er oder sie die „Schwarze Flagge“ hissen.

Dies kann zum Beispiel eine schwarzer Karte an einem auf eine Pinnwand gemalten Fahnenmast sein. Auch der Ruf „Parley!“ funktioniert.

Der Initiator oder die Initiatorin kann dann auf jene Person zeigen, mit der unmittelbar und direkt verhandelt werden soll.

Diese muss, getreu dem Piratenkodex, das Angebot annehmen und beide versuchen, den Konflikt im direkten Dialog zu entschärfen. Erst wenn beide das Parley für beendet erklären, geht es im Programm weiter.

Die Methode braucht man nicht immer. Aber gerade dann, wenn Prozesse festgefahren scheinen und Differenzen überbrückbar, kann ein Versuch wieder Schwung in die Debatte bringen.

Meist klappt das nicht beim ersten Anlauf, es braucht oft drei oder vier Parleys, bis sich wirklich was bewegt. Dann aber oft so richtig.

Wenn es also hilft in der Partizipation, warum sollten wir dann nicht alle ab und zu ein klein wenig mehr Piraten sein?

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2 Kommentare
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Christine Becker
10. August 2023 21:14

„Parley“ stelle ich mir gerade bei den Verhandlungen zur Krankenhausreform vor, als Gesprächsangebot eines Landrats an Krankenkassen-Vorstände.
Christine Becker, Salutoconsult

Wolfgang goede
17. August 2023 17:41

„Segen der Karibik“ wäre im Licht der neuen historischen Erkenntnisse womöglich zielgenauer. Die Geschichte übersieht, glaube ich, eines. Wird bei Beteiligung wirklich verhandelt — oder ist dies ein Desiderat? Piraten hatten Waffen, konnten drohen, kämpfen, wurden auf den 7 Weltmeeren gefürchtet wie der Leibhaftige. Trifft das auch für die Bürgerinitiative zu, die mit der städtischen Planungsbehörde über den Verlauf einer neuen Straße berät? ALIBI-BETEILIGUNG macht die Runde. Womit könnten denn Bürger*innen anders als Piraten — oder auch Gewerkschaften — Druck machen? Worin mehr, als Moral, besteht ihre Macht? Vielleicht als Ergänzung: Der Erfinder des Community Organizing, Saul Alinsky, hielt den Aufbau von schlagkräftiger Bürgermacht zentral für Beteiligung. Ohne bleibt vielen Initiativen, die zu keiner befriedigenden Beteiligung gekommen sind, nur ein anderer Kodex aus der Piratenzeit: Das umgekehrte Upsidedown-Hissen ihrer Fahne und Erkennungszeichen: Wir sind gekapert.

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